Predigt Karfreitag - Pfarrerin ULrike Wortmann-Rotthoff (02. 04.2021)

Gottesdienst zum Selbermachen?

Liebe Mitchristin, lieber Mitchrist:

Mögen Sie sich Ihren Hausaltar selbst vorbereiten?

Suchen Sie einen ruhigen Lieblingsplatz:

Zünden Sie dort eine Kerze an,

vielleicht legen Sie eine Blüte dazu…..

oder ein Kreuz aus Ihrer Wohnung.

oder dieses Bild – sie finden es auch als Banner an

unserer Ledder Dorfkirche.

Dann schlagen Sie die Bibel auf beim Buch Jesaja.

Kapitel 52, , Vers 13 beginnt der lange, lange Text.

Lassen Sie ihn erst einmal aufgeschlagen vor sich liegen

Gönnen Sie sich einen Moment der Stille,

bevor Sie lesen……

Beenden Sie Ihren Gottesdienst mit dem

Vaterunser.

Gesegnete Zeit!

Predigt zu Jesaja 52,13 bis 53,12 2.April 2021:

Hinterher ist man meistens schlauer. Jeder von uns hat das schon erlebt: Was ich im Augenblick beim besten Willen nicht begreifen kann, es erschließt sich durchs Nachdenken. Später. Oftmals viel später: Warum habe ich das damals nicht gesehen? Es ist wohl so: unser Sichtfeld kann derart eingeschränkt sein – durch Angst, durch Wut oder durch Trauer, da kann man nicht mehr klar denken! Geschwiege denn einen Sinn erkennen, in dem, was gerade passiert. Hinterher ist man meistens schlauer!

Was konnten sie also sehen, die Frauen und die Jünger auf dem Hinrichtungs – Hügel am Karfreitag?
Jesus stirbt am Kreuz vor ihren Augen. Wenn ein Mensch stirbt, den man geliebt hat, steht man neben Raum und Zeit. Auch dann, wenn der Tote nicht am Kreuz hängt wie Jesus: seine Hinrichtung zeigt Spuren von Hass und Willkür. Für die Jüngerinnen ist das alles die Infragestellung der Hilfe und Güte Gottes. Wenn sogar Jesus, dem erhofften Retter, dieses: „Mein Gott, mein Gott“ über die Lippen kommt, und: „Warum hast du mich verlassen?“, und dann passiert einfach nichts, was ist dann los mit Gott?

Wo ist da der Sinn?
Wir kriegen das nicht zusammen. Und die Jünger damals auch nicht. Karfreitag – da geht ihre Welt unter. Warum? Auch uns lässt diese Frage nicht los: Sie steht auf Pappkartons an Gedenkorten für Terroropfer. Wir stellen sie täglich, wenn wir die Zahlen der Corona- Toten lesen. Sie geht uns durch den Kopf, wenn wir Bilder von verhungerten Kindern im Jemen sehen. Wir sprechen sie aus, am Bett eines geliebten Menschen auf der Intensivstation.

Warum? Wo ist da der Sinn?
Totale Sinnlosigkeit anzunehmen ist fast unmöglich, keine weiteren Fragen zu stellen, weiterzuleben - das kann man doch nicht! Darum haben Menschen immer versucht, ihr Schicksal zu deuten. Wenigstens an manchen Stellen einen Sinn zu finden für das, was geschehen ist.

Und bei Jesus? Wie ist es da?
Er war der Mensch, der auf nie dagewesene Weise von Gott erzählte. . Für die einen erfrischend, für die anderen beängstigend. Für die Schwachen stärkend, für die Starken schwächend: ein Gerechter. Für die Kleinen einer, den es groß zu machen galt: ein Helfer. Für die Mächtigen einer, den man besser klein halten sollte. Ein Mensch, mit einer Ausstrahlung, die Gott durchscheinen ließ. Genau das wurde ihm zum Verhängnis.

Von den Oberen der Gotteslästerung angeklagt, falsch beschuldigt: Kurzer Prozess: „Mein Gott, mein Gott, warum?“ Im Schatten des Kreuzes auf Golgatha wurde es still. Totenstill. Der Sinn war mit Jesus gestorben. Und das wär‘s auch gewesen, wenn an dieser Stelle die Geschichte geendet hätte. Wir haben einen Freund verloren – hätte es geheißen und: wir haben uns vertan. Wir haben zu viel gehofft, zu viel geglaubt: verloren.

Karfreitag: - in dieser Totenstille kann man keinen Sinn finden. Die Jünger damals nicht. Wir nicht. Darum erst: die Grabesruhe. Dort erst, am Grab, am dritten Tage bei Sonnenaufgang, da stellt sich die Frage – ganz anders, undenkbar anders: Jetzt wird sie sinnvoll. Sinn- stiftend: „Warum, wozu, was sollte das?“ Ostern stellt sich alles neu: Hinterher ist man meistens schlauer. Der Sinn liegt nicht im Schmerz, sondern durch den Schmerz hindurch, später, weiter vorn: am leeren Grab, als der Engel die Osterbotschaft ruft:

Der Herr ist auferstanden!

Gott selbst hat ihn zum Leben erweckt. Alles Leiden dieser Welt, alle Grausamkeit, die wir stellvertretend an seinem Kreuz erkennen, all das hat ER durchlebt – mit uns, für uns: jetzt ist es überwunden! Das ist die Wahrheit: Fürwahr, ER trug unsere Krankheit, lud auf sich unsere Schmerzen. Er trug unsere Leiden. Die Strafe liegt auf Ihm, damit wir Frieden hätten Der Sinn ist, dass das Leid überwunden wird, damit wir frei atmen können: Durch seine Wunden sind wir geheilt. So können sie es dann auch sagen, die ersten Christinnen und Christen – im Nach- Hinein:

Ostern ist unser Neuanfang, wirklich und wahr: der Gekreuzigte, unser Herr Jesus, der hat das getan, der hat das Leiden überwunden. Und wir hatten schon gedacht, er wäre von Gott geplagt, geschlagen, gemartert und für immer verlassen worden. Und das, obwohl er doch eindeutig zu den Gerechten zu zählen war. Der Gerechte hat gelitten. Gelitten für uns! Um dieses Bekenntnis so aussprechen zu können, haben sie damals Zeit gebraucht. Trauerzeit. Und den Ostermorgen. Und ganz sicher viele Gespräche. Und das Lesen in der Heiligen Schrift. So hat es auch schon ein Kämmerer aus Äthiopien gemacht: Als er das Buch des Propheten Jesaja aufgeschlagen vor sich liegen hatte, stieg Philippus, einer der ersten Apostel, zu ihm in den Wagen: „Wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird .. so tut er seinen Mund nicht auf..“ Von wem redet der Prophet? Jesaja hat ja keinen konkreten Namen dazu gesetzt, nicht gesagt, wer für ihn der leidende Gottesknecht ist. Philippus sieht die uralten Worte als eine Art Spiegel – sieht darin den gekreuzigten Christus auf Golgatha und deutet: Ja, es ist wahr: ER war wie diese Gott dienende Gestalt: Er trug unsere Leiden.

Auch wir hören die geheimnisvollen Worte Jesajas als Deute - Worte: Wenn man Jesus darin erkennen will, dann muss man allerdings auch selbst in den Spiegel schauen: Bis heute sind doch die Mechanismen der Welt noch immer dieselben. Wer diesen Blick in den Spiegel wagt, wird erschrecken. Denn da steht auch: „Mein Gott, wir gingen alle in die Irre wie Schafe. Jeder kümmerte sich nur um seinen eigenen Weg. Aber der HERR lud alle unsere Schuld auf ihn. Zu erkennen, wo man selbst zum Bösen beigetragen und dafür gesorgt hat, dass andere niedergeschlagen sind, das tut weh. Was wir bei Jesaja lesen, das ist ein menschliches Schuldeingeständnis. Verbunden mit der erlösenden Aussicht, dass der „Sündenbock“ sich selbst gestellt hat. Dass wir ihn nicht suchen müssen, weil Er sich stellt, für alles, was wir selbst ausbaden müssten. So ist uns der Karfreitag ein paradoxes Geheimnis: Die Welt steht still. Findet keine Worte. Findet keinen Sinn: Gott lässt uns am Karfreitag in diese Sinn - Leere stürzen und wartet...bis zum dritten Tag: Denn heilsame Trauer und Selbsterkenntnis, das braucht doch Zeit!

Hinterher ist man immer schlauer?! In Jesajas Worten gibt es etwas, was mir in dieser grundlosen Tiefe des Fragens Halt verspricht: Es sind die ersten und die letzten Sätze in diesem langen Text. Gott hat das erste und Gott hat das letzte Wort. „Siehe, meinem Knecht wird’s gelingen, er wird erhöht und sehr erhaben sein!.. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird ER das Licht schauen…“

Karfreitag: Wir alle müssen durchs Leid hindurch. So oder so. Aber der Auferstandene, der geht schon einmal stellvertretend voran, trägt unser Leiden da durch, dem Ostermorgen entgegen. Denn erst da, da finden wir den Sinn!

Herzlich grüßt Ihre Pastorin Ulrike Wortmann-Rotthoff Wir wünschen Ihnen trotz aller Corona- Einschränkungen eine gesegnete Osterzeit – Vielleicht entdecken Sie beim Osterspaziergang das oben gezeigte Banner an der Ledder Dorfkirche!