Predigt Quasimodogeniti - Pfarrerin ULrike Wortmann-Rotthoff (11.04.2021)

Liebe Gemeinde!

Diesmal Ostern habe ich sie wirklich vermisst, die alte Frauenhilfsfrau. Sie kam jeden Sonntag in den Gottesdienst und begrüßte mich freundlich "Guten Morgen, Frau Pastorin!" Nur am Ostersonntag war es anders, immer anders: schon vor der Kirchentür rief sie: "Der Herr ist auferstanden!" und sah mich erwartungsvoll an, bis ich antwortete: "Er ist wahrhaftig auferstanden!" Dann gab sie mir erleichtert die Hand, nahm ein Gesangbuch und setzte sich in die Kirchenbank.

Dieses Jahr zum zweiten Mal nicht - musste ich denken. Und vermisste sie. Alltägliche Einzelheiten vermissen schmerzlich, das fällt uns allen in der Länge der Pandemie bei Schritt und Tritt auf. Was wir "früher" routiniert und immer wieder getan, gesehen, gehört haben, hat sich gut ins Gedächtnis eingeprägt, so fällt uns dann eben auf, wenn's nicht passiert.

So war das denn auch bei mir im Moment des Erinnerns: Als ich mich Altar in der Stiftskirche umdrehte, das Osterlicht in Händen und meine Schritte genau in umgekehrter Richtung setzte: aus der Kirche nach draußen: wie oft bin ich genau diesen Weg gegangen am Ostermorgen, genau umgekehrt, mit der brennenden Osterkerze in Händen? Kein Wunder also, dass ich innerlich genau in diesem Moment die alte Dame rufen höre: "Der Herr ist auferstanden!" -- erwartungsvoll - und auf meine Antwort hin. Ich blieb stumm. Erst einmal. Aber ich spürte, dass sie mir schmerzlich fehlt auf Schritt und Tritt: die antwortende Gemeinde.

Ob es den Jüngern ähnlich gegangen ist?

Der Evangelist Johannes erzählt uns eine liebevoll ausgeschmückte Ostergeschichte mit vielen alltäglichen Einzelheiten. Sie gehört bestimmt nicht zu den bekanntesten. Die Szene spielt am Ufer des Sees Tiberias. Wir kennen ihn besser als See Genezareth. Da war alles angefangen. Mit der Berufung von Simon Petrus und seinen Gefährten. Dorthin würde der Auferstandene ihnen vorausgehen, hatte der Bote am leeren Grab versprochen. Also sind die Jünger zurückgekehrt - Wege zurückgegangen in ihr "früheres Leben" als sie noch Fischer waren am galiläischen Meer…

Der Auferstandene am See von Tiberias Joh 21, 1-14

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.

Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.

Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: "Es ist der Herr", da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war bloß, und warf sich in den See. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.

Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch. Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Wussten wir's doch!

Ja genau - was ist Ihnen bekannt vorgekommen? In den vielen alltäglichen Details in dieser Szene? Welche Erinnerung ruft das bei Ihnen wach? War das nicht beim Fischzug des Petrus genauso? "Und sie fingen nichts .. die ganze Nacht", aber auf Jesu Wort hin ziehen sie brechend volle Netze an Land? Oder: dass dieser Petrus mit seinem Temperament sich ihm entgegenstürzen muss… Nur diesmal steht da nichts von Versinken… Und: war das nicht so ähnlich beim Speisungswunder… Brote und Fische? Nur diesmal fragt gar nicht erst einer, ob's reichen wird. "Kommt und haltet das Mahl" - diesen Satz haben sie doch beim vermeintlichen Abschied gehört, die Jünger. Man muss sie mehrmals lesen, bis man all die Einzelheiten entdeckt. Denn Johannes, der Evangelist, hat sehr bewusst komponiert: Entscheidende Begegnungen mit Jesus. Bei denen den Jüngern damals bewusst werden muss: "Es ist der Herr!" Zeichen lässt er aufleuchten - auch uns, Zeichen, die uns begreifen lassen, was diese alle Grenzen sprengende Gegenwart des Auferstandenen bedeutet: "Kinder, habt Ihr nichts zu essen?" fragt Christus, fragt der Heiland, der Leib und Seele speisen will mit Brot und mit trotziger Osterhoffnung. Das brauchen wir. Das tut uns gut in diesen Tagen, wen wir so leichthin sagen: die Leute sind alle so dünnhäutig! Gut tut es, feinfühliger zu werden. Die Sinne zu schärfen, gerade im "social distancing". Feinfühliger gemacht durch Zeichen, die Gott uns setzt. Und da liegt ja oft mehr zwischen uns als jene Distanz damals zwischen schaukelndem Fischerboot und sicherem Ufer. Gut, wenn wir uns darin üben, innere Bilder, Worte, Melodien in uns wach zu halten. Sie erinnern uns daran, was uns versprochen ist. Geben uns Trost. Geben uns Weisung. Worte, die bleiben und wirken, wo sich gerade so vieles verändert. Worte, die mit unserem Erfahrungswissen verbunden sind, auch dann, wenn wir "real" alleine sind. Feinfühlig werden, zu dieser Übung lade ich Sie ein in österlicher Zeit: Denn ich spürte, dass meine Schritte leichter werden, als ich mir das freudestrahlende Gesicht der alten Frauenhilfsfrau vergegenwärtige. Ich hörte die Botschaft des Auferstandenen durch ihren Mund: "Ich lebe und Ihr sollt auch leben!"

Eine gesegnete Osterzeit wünscht Ihre Pfarrerin Wortmann-Rotthoff

Zum Ausprobieren… können Sie diese Melodie innerlich hören:

  1. Der schöne Ostertag! Ihr Menschen, kommt ins Helle!
    Christ, der begraben lag, brach heut aus seiner Zelle.
    Wär vorm Gefängnis noch der schwere Stein vorhanden, so glaubten wir umsonst.
    Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden.

  2. Was euch auch niederwirft, Schuld, Krankheit, Flut und Beben -
    er, den ihr lieben dürft, trug euer Kreuz ins Leben.
    Läg er noch immer, wo die Frauen ihn nicht fanden, so kämpften wir umsonst.
    Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden.

  3. Muss ich von hier nach dort - er hat den Weg erlitten.
    Der Fluss reißt mich nicht fort, seit Jesus ihn durchschritten.
    Wär er geblieben, wo des Todes Wellen branden, so hofften wir umsonst.
    Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden.