Predigt 1. Sonntag nach Weihnachten 2020 - Pfarrer i. R. Dr. Heinrich Winter

Text: Lukas 2, 27-32

„Und Simeon kam vom Geist geführt in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.“

Liebe Gemeinde,

unser Glaube an Gott rettet den Menschen. Es ist der Glaube, der Gott im Menschen Jesus von Nazareth findet und der das Menschsein rettet, das wir ohne diesen Gott nicht bewahren. Was die hebräischen Schriften von Gott künden, finden wir im Menschen Jesu wieder. Im griechischen Teil der Bibel ist der Mensch nicht ohne Gott in Jesus vorstellbar. Wer Gott sucht, muss ihn in Jesu Menschlichkeit finden und wer danach fragt, was den Menschen Mensch sein lässt, der muss in Jesus Gott finden. Allmacht und Ohnmacht, Schöpfer und Geschöpf, Lichtes und Finsteres, das Gegensätzliche, das in unserer Menschlichkeit sich allzu gern zu seinem Schaden meidet, versöhnt sich in Jesu Leben. „Licht vom Licht, … eines Wesens mit dem Vater … hat Fleisch angenommen … und ist Mensch geworden“, darauf haben sich unsere Glaubensvorfahren im Jahr 381 in der Stadt Nicäa in der Nähe von Konstantinopel als Formel des Glaubens geeinigt. Von Anfang an aber hat sich der ängstlich- fromme Respekt vor einem allmächtigen Gott gegen eine solche Sicht von Gott in Jesus gewehrt. Nein, Jesus ist nicht „wesensgleich“ mit Gott, bestenfalls „wesensähnlich“, so der Einwand vor 1650 Jahren. Ein Gott, der Mensch wird, verliert doch seine unangreifbare göttliche Macht und Autorität, ist kein Gott mehr. Heute ist es gerade umgekehrt, will die Klärung von dem, was den Menschen zum Menschen macht, mit der Frage nach Gott nichts mehr zu tun haben. Wahres Menschsein in Gott zu finden, sagt die kritische Vernunft, ist sogar gefährlich. Wenn sich ein Mensch für unangreifbar hält, sich wie ein Gott aufspielt, neigt er zu besonders furchtbaren Unmenschlichkeiten und ist eine Geisel für die Menschheit. Gott und Mensch, das geht nicht zusammen. Wenn es zusammen geht, so die Erfahrung, die unserem Glauben scheinbar widerspricht, dann nur zum Schaden von Gott oder zum Schaden des Menschen.

Aber da schildert der gläubige Historiker Lukas diese Szene im noch nicht zerstörten Tempel auf dem Zionsberg in Jerusalem. Ein gewisser Simeon trifft dort Joseph und Maria mit ihrem erstgeborenen Sohn. Die Eltern haben Opfergaben dabei, um nach altem Brauch ihrem Gott für das Lebensgeschenk zu danken, das das Kind für sie bedeutet. Da erbittet sich dieser alte Mann, das Kind auf den Arm nehmen zu dürfen, nimmt Jesus auf den Arm und bricht in einen Jubel aus. Mit diesem Kind im Arm, könne er beruhigt seinen Tod entgegennehmen. Die heilsame Rettung der Welt trage er im Arm. Mehr Glück und Seligkeit könne er sich nicht wünschen. Gott sei ewig Preis und Dank.

Wir sollten dem Evangelisten Lukas nicht unterstellen, Mangel an frommer Ehrfurcht vor Gott zu haben noch am Mangel einer kritischen Vernunft um des Menschen willen zu leiden. Lukas erzählt als Einziger Jesu Leben als Gegenwart Gottes bei uns Menschen von seiner Geburt an. Er kennt das Markusevangelium und weiß um die Botschaft des Mannes Jesus von Nazareth: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15). Den ersten Bußgang im Vertrauen auf eine Engelbotschaft lässt Lukas die Hirten zur Krippe im Stall von Bethlehem antreten. Die Rettung der Welt finden sie, wo der Mensch mit Gott niedrig wird. Den nächsten Bußgang geht Jesus mit Gott im Herzen selbst. Vom Größenwahn in der Wüste versucht, entsagt er sich dreimal, Gottes Allmacht für sich herauszufordern. Gottvertrauen braucht keine Beweise, dass sich Steine in Brot verwandeln, wo Hungersnot herrscht. Zufriedenheit mit dem Gott der alten Schriften im Herzen stellt sich nicht mit dem maßlosen Erfolg ein, alle Reiche dieser Welt besitzen zu müssen, und etwa Milliardär zu sein. Mit diesem Gott setzt man sich auch nicht in frecher Mutwilligkeit Lebensgefahren aus, tanzt nicht auf dem Vulkan, wenn das Virus mein und dein Leben in Gefahr bringt. Herrenmenschentum ist mit Gott im Menschen Jesu von seiner Geburt an bis hin zu seinem Tod ausgeschlossen.

„Wenn du Gottes Sohn bist, dann hilf dir selbst, wenn du anderen geholfen hast.“
„Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein“, ist die Antwort an den, der weiß, in welcher Sünde er als Mensch vor Gott ist. Diesen Gott nimmt der Gottgesalbte Jesus selbst in das Unrecht seines Todes mit hinein und löst die vermeintliche Endgültigkeit des Todes ins Nichts auf. Lukas Anliegen ist es, das Wunder, das Gott ist, und das Wunder, das der Mensch ist, in eins zu erzählen. Wenn sich die Gottesfurcht und der kritische Verstand die Hände reichen, wird und bleibt der Mensch ein Mensch.

Wo sich dieses gemeinsame Wunder ereignet, reinigen sich übersteigerte Lebenswünsche und heben sich niederdrückende Lebensängste auf. Die immer lauernde, stolze Selbstüberschätzung des eigenen Vermögens, sieht mit Gott im Herzen den Balken im eigenen Auge. Die gern nach uns greifende Sinnlosigkeit im Scheitern leider auch guter Werke, lässt sich mit Paulus, einem anderen im Glauben mit Gott gesegneten Menschen, humorvoll sagen, dass die Weisheit der Welt eine Torheit vor Gott ist. Doch wo sich Gott im Menschen kundtut, da bricht auch Jubel aus, ereignet sich herrliche Rettung aus Not und Krankheit, eben auch aus einer falschen Angst vor der Endgültigkeit des Todes. Über Jahrhunderte hin haben es Menschen diesem Simeon gleich gemacht. Haben Gott in Jesus in den Arm genommen. Mit diesem Gott wird die Wolke der Heiligen in der Geschichte der Kirche zum Zeugnis für die Seligkeit der geistlich Armen, der Leidtragenden, der Sanftmütigen und der Barmherzigen, der Friedfertigen, der Herzensnaiven und der an Gerechtigkeit schier Verhungernden. Mit diesem Gott feiern wir Feste, feiern wir Weihnachten und Ostern, Pfingsten und Erntedank. Dieser Gott in Jesus von Nazareth rettet in unserem Glauben unsere Menschlichkeit. In unseren Kirchen finden wir den Raum für diese Einsicht und auf unseren Straßen will sie sich bewähren.

Amen