Predigt Pfingsten - Pfarrerin Ulrike Wortmann-Rotthoff (23.05.2021)

Liebe Gemeinde,

Der eingerüstete Turm einer Dorfkirche. Wenn die Sanierung beendet und das Gerüst abgebaut ist, muss die Fassade des Kirchenschiffs neu verputzt, das Dach erneuert, die Heizung repariert, der Gemeindesaal renoviert werden.

Das Leben ist eine Baustelle.

So sehen das auch die Menschen, die den Turm zu Babel bauen - Unser Predigttext heute berichtet davon:

„Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.“ (1. Mose 11,2-4)

Es scheint so, dass zum Menschsein die Selbstverwirklichung durchs Bauen gehört. Für die Generation meiner Eltern war das eigene Haus ein wichtiges Lebensziel. Wenn ich mich umschaue in der Gemeinde: das ist für viele so geblieben - An einem Ort bleiben dürfen. Etwas hinterlassen. Darum wohl bauen wir oft auch mehr, als wir bräuchten. Man verschuldet sich, verbringt Wochenende für Wochenende auf der Baustelle, legt sich krumm – und jetzt bloß keine Scheidung! Man baute und baut Häuser, die größer sind, als dass sie und wir Nachkommen sie wirklich nutzen können. Was – wenn die alte Generation pflegebedürftig wird und die nächste aus beruflichen Gründen wegzieht? Was legen wir uns und den Generationen nach uns nicht alles auf mit unserer eifrigen Bautätigkeit?

Trotzdem: Das Leben ist eine Baustelle. – Auch bei Kirchens. Keine Kirchengemeinde ohne Bauausschuss, keine Presbyteriumssitzung ohne Tagesordnungspunkt „Bauangelegenheiten“. Da braucht man schon sehr, sehr strapazierfähige Baukirchmeister…???? Inzwischen quält die Frage: wenn die personellen und die finanziellen Mittel immer enger werden: was machen wir denn mit den Räumen, die wir gar nicht mehr füllen, die wir gar nicht mehr bräuchten… Eigentlich… Aber wir alle sind doch emotional ganz stark an diese Räume gebunden!! Warum eigentlich?

Da sind die Leute in Babel ja ehrlich. Sie sprechen aus, warum sie ihren Turm bauen wollen. Die Sehnsucht nach „einem Namen“ treibt sie an. Sie wollen sich „verewigen“, indem sie sich ein Denkmal setzen! Merken sie nicht, wie sie sich dabei selbst versklaven? „Lasst uns Ziegel streichen und brennen!“ - heißt es da: In der hebräischen Bibel steht dafür ein Ausdruck, der sonst nur noch an einer einzigen anderen Stelle der Bibel vorkommt: Im 2. Buch Mose (5,7). Da wird erzählt, wie die Israeliten als Sklaven für den Pharao Ziegel brennen – mit genau diesem Ausdruck: Sklavenarbeit am Bau!

Und wie sieht Gott das? Ich lese weiter aus unserem Predigttext : (Gen 11, 5-11) 5 Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! 8 So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.

Ich sehe sie vor mir, die Leute von Babel: Da stehen sie, da oben und wissen nicht weiter, auf dem schwankenden Baugerüst. Stolz auf die Meisterleistung in luftiger Höhe, den nächsten Baustein in der Hand, sagt einer auf Suaheli… und ich verstehe nur Bahnhof… Vorher da lief die Arbeit doch wie geschmiert. Wir haben uns doch so gut verstanden! Es ging gut, und immer schneller ging es, immer weiter, immer höher. Plötzlich hatte sich etwas geändert. Allgemeine Verwirrung herrschte. Was war eigentlich passiert? Sie hören, und verstehen nicht: Sie finden keine gemeinsame Sprache mehr. Ich nehme an: Eine ganze Weile lang haben sie es immer wieder versucht, sich zu verständigen. Und am Ende war die so Enttäuschung groß: es ging nicht mehr miteinander. Eine grandiose Bauruine blieb da. Erinnerung an bessere Zeiten, Erinnerung – vielleicht auch an einen Übermut, der nicht gutgetan hatte. So war es damals in Babel.

Das Leben bleibt eine Baustelle.

Nochmal: Und was ist mit Gott? „Da fuhr der HERR hernieder ..“ hört sich nicht eben freundlich an. Dennoch: Der Entschluss Gottes, in die Stadt Babel hinunterzusteigen und ihre Sprache zu verwirren, ist keine Strafe für die Menschen, sondern eigentlich - eine göttliche Befreiungstat: Doch! „Ziegel streichen und brennen“- Das ist Sklavenarbeit, sie erinnern sich. Einem Projekt mit Haut und Haar verschrieben sein, beherrscht sein von einem einzigen Thema. Da steht nämlich nicht, dass die verschiedenen Sprachen und Völker in diesem Moment erst geschaffen werden. Wir hören das nur manchmal so. Schon in den Kapiteln vorher gibt es Völkertafeln, die Aufzählung verschiedenartigster Landstriche und ihrer Eigenarten….

Die Menschen werden verwirrt, verstehen sich nicht mehr. Gott greift ein, damit sein guter Plan für die Zukunft nicht vereitelt wird: die Vielfalt und Freiheit der Völker, Sprachen, Kulturen und ihrer Geschichte. Die Vielfalt der Sprachen an sich – das ist keine göttliche Strafe, sondern von Gott gewollt.

Natürlich haben Sie längst die Verbindung zum Pfingstfest gefunden: Wir haben eben davon gehört: die Pfingstgeschichte ist allerdings keine „Antigeschichte“ zur Turmbaugeschichte – Sie nimmt doch den in den Urgeschichten angelegten roten Faden auf und führt ihn fort: Gottes guten Plan für die Zukunft! Pfingsten: Die aus vielen Völkern für die Festtage in Jerusalem versammelten frommen Juden hören die Apostel in ihrem regionalen galiläischen Dialekt predigen. Überraschenderweise versteht sie aber jeder in seiner eigenen Muttersprache! Das Pfingstwunder ist also eigentlich gar kein Sprachenwunder, Die Jünger reden weder in einer anderen noch gar in himmlischen Zungen. Pfingsten ist ein Hörwunder; alle hören die Apostel in der je eigenen Muttersprache die großen Taten Gottes verkünden! Der Heilige Geist schaltet die Vielfalt nicht aus. Im Gegenteil: Er bestätigt und würdigt die von Gott gestiftete Vielfalt der Menschen.

Aber – Der Geist Gottes schafft an Pfingsten auch etwas Neues: Eine Verbundenheit, die Menschenkraft nicht herstellen kann. Das Wunder einer versöhnten, mehrsprachige Gemeinschaft der Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu. Das ist nicht weniger als der Beginn einer ganz neuen Gemeinschaftsform! Das ist der Beginn unserer weltumspannenden Kirche.

Unter dem Dach der Kirche sammelten und sammeln sich… durch die wechselvolle Geschichte bis heute…. die unterschiedlichsten Menschen, aller Hautfarben, Rassen, Kulturen und Sprachen. Einheit in der Vielfalt sagen wir ganz bewusst in der Oekumene – Einheit in Vielfalt… Keine Einheitspartei oder Einheitskultur. Einig sind wir im Hören. Im Hören auf die Worte des einen HERRN. In viele hundert Sprachen übersetzt. Verstehen wir sie, ein jeder und eine jede in ihrer Muttersprache.

Gegen die Versklavung im Einheitsblock hat sich zu allen Zeiten Gottes Geist durchgesetzt: Die Versklavung durch die jeweils Herrschenden, die Mächtigen, die subtilen Meinungsmacher, die Influencer, hat sich immer noch Gottes Geist durchgesetzt: gewaltig und unbändig… und bunt!

Nicht Einheit macht stark, sondern Einigkeit. Einigkeit und Freiheit, und die Fähigkeit, sich zu einigen: Das geht von Verschiedenheit aus. und dem Eins - Werden im Hören.

Ein lebendiger Prozess ist das: Ja – das Leben bleibt eine Baustelle – besonders bei Kirchens.

Früher stand die Kirche auf unserem Titel- Bild in der Mitte des Dorfes. Wie viele unserer Dorfkirchen. Und das meine ich jetzt nicht nur geographisch. Heute steht die Kirche am Rand. Längst dominieren unsere Kirchen nicht mehr Orts- und Stadtbilder.

Das entspricht wohl der Bedeutung der Kirche in der weltlichen Gesellschaft. Und wir sollten uns nicht dadurch wieder einen Namen machen wollen, dass wir den kirchlichen Dominanzzeiten im Mittelalter und der Reformationszeit hinterhertrauern.

Missverstehen Sie mich bloss nicht: Ich liebe unsere vier historischen Kirchen. Sie müssen gepflegt und erhalten werden – und zwar nicht nur als Denkmal. Eben! Kirchen haben ihren Sinn als Versammlungsort unserer Gottesdienstgemeinde. in einer Welt, die mit uns und unserem Glauben mehrheitlich immer weniger anzufangen weiß, verkündet jeder Kirchturm - mächtig oder winzig - dennoch eine wichtige Botschaft: Wir sind immer noch da! Und wir werden, so unbequem Christen und christliches Denken in einer immer stärker und einseitiger auf Profit ausgerichteten Gesellschaft auch sein Mögen: wir werden nicht von der Bildfläche verschwinden.

Aber unsere schönen Kirchen im Tecklenburger Land dürfen uns nicht zum sprichwörtlichen Kirchturmdenken verleiten.

Was damit gemeint ist, versteht jeder: Eine Blickverengung! Jeder schaut auf seinen eigenen Turm. Den eigenen Kirchturm. Um den dreht sich alles, auch wenn er brüchig wird. Der eigene Ort liegt uns näher als die anderen, die wir weit weg wähnen. Spaltungen betreiben wir oft, gewollt und unbewusst, Spaltungen, wo Einigkeit in der Vielfalt gewollt ist. Jeder versteht sich am besten mit den Leuten, die der gleichen Meinung sind. Es ist schwierig geworden, andere wirklich anzuhören. Ja – zu hören und zu verstehen: Das aber will das Pfingstfest, jedes Jahr auf’s Neue: Ermutigen zu diesem Wunder, dass Menschen hinhören und sich verstehen. Und zwar nicht, weil sie sich jetzt einmal so eine Meisterleistung vorgenommen haben- Wie die Leute in Babel schon: „Na Los doch! Nun wollen wir uns aber mal richtig gut verstehen!“ – das klappt selten.

Nein, es soll durch meinen Geist geschehen, sagt Gott – und das tut es. Pfingsten, da verstehen sie nicht Bahnhof, sondern Phrygisch und Pamphylisch und noch vieles mehr. Pfingsten – da hören sie zu. Und hören ganz Neues. Und lassen sich bewegen… Überall, wo wir Gottes Geist mal machen lassen, wo Gottes Geist uns leitet, wo wir hinhorchen und verstehen, da entsteht Gemeinschaft, auch wenn wir aus ganz verschiedenen Hintergründen kommen.

Und dann werden hier nicht Bau - Ruinen herumstehen und in den Himmel ragen - so wie der alte Turm von Babel. Unsere Räume – wo wir uns treffen und aufeinander hören – sie werden von Gottes Geist durchweht sein und sich mit neuem Leben füllen.

Amen.