Andacht Silvester 2020 - Pfarrerin Ulrike Wortmann-Rotthoff

Jahreslosung 2021

"…das verlangt eine große Kraftanstrengung von allen - von unserer Gesellschaft!" 

diesen Satz haben wir so oder ähnlich schon mehrfach im vergangenen Jahr  gehört. Angesichts der Corona- Pandemie war ein solcher Appell not - wendig.  Er wird auch im kommenden Jahr weiter richtig und angemessen sein. Ja: 2021 verlangt eine große Kraftanstrengung von uns: Solidarität, Selbstdisziplin, Fürsorge!

Aber: wenn wir Allgemeinwohl - wollend und einsatzbereit uns einbringen: woher nehmen wir so lange so viel Kraft?  Ist denn nicht irgendwann bei jedem und bei jeder "der Akku alle"?   Sind die letzten Reserven nicht irgendwann erschöpft?  Die Jahreslosung für 2021 scheint uns ja geradezu noch einen "drauf" zu setzen  - wenn wir sie denn auch "nur" als Appell hören können.

Die Illustration der Jahreslosung von Angelika Litzkendorf weist uns einen anderen Weg. Ihr Aquarell heißt "Barmherzig" und zeigt uns farbige Schalen, angeordnet wie in manchem Brunnenwasserspiel: überfließend gießt sich das Wasser von einer in die nächste Schale. Woher kommt der Energiestrom?

Himmlisch! Golden und blau fließt da leuchtende Kraft von oben her: im Kreuz gewinnt sie erkennbar Gestalt. Genau auf diese Reihenfolge hat die Künstlerin den Fokus gelegt:   Zuerst werden wir von Gottes Barmherzigkeit gefüllt, dann geben wir sie weiter.   Wenn wir den Losungs - Satz entsprechend umstellen, wird es uns bewusst:  Wie euer himmlischer Vater barmherzig ist, so seid auch ihr barmherzig!

Jesus nimmt uns den Druck zur "frommen" Leistung.
Wer Barmherzigkeit weitergeben will, kann aus unversiegbarer, weil göttlicher Quelle schöpfen. Wer sich von Gottes Liebe füllen lässt, hat genug Kraft zum Lieben!  Denn "Barmherzig sein"  ist ja ein Tätigkeitswort.   Es meint viel mehr als "Mitleid haben" - das ist ein Gefühl, das wir vielleicht in empathische Worte fassen. Auch das tut gut. Barmherzigkeit aber kann ich einem Anderen "erweisen" - kann ich praktizieren, weil ich sie selbst erfahren habe. Weil ich selbst erlebt habe, wie mir jemand gut getan hat.

Barmherzigkeit ist also mehr als Mitleid. Barmherzigkeit reicht auch weiter als Anständigkeit oder Pflichtbewusstsein. Der Barmherzigen geht das Leid des Anderen, seine Verletzlichkeit oder ihre Hilflosigkeit so "zu Herzen", dass er oder sie einfach reagieren, einfach handeln muss - wie eine Schale, die überfließt:  "..wes das Herz voll ist", dem geht nicht nur der Mund über. Manchmal übersteigt die Barmherzigkeit sogar den Gerechtigkeitssinn, denn die strikte Anwendung von Gesetzen kann mitunter herzlos sein.

Viele von uns haben mit Begeisterung mitgemacht, wenn wir in den vergangenen Monaten erlebten, welche Kreativität zum Kontakthalten, wie viele gute Ideen zur Unterstützung, welche neuen Wege zur Weitergabe von Informationen, ja auch zur Ausbreitung der guten Nachricht des Evangeliums sich grade aus der notwendigen Isolation in dieser Pandemie  entwickelt haben. Beinahe wie ein System kommunizierender Röhren kam es mir vor.

Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist."  Lk 6,36

Barmherzig?  Da taucht - wie schön - ein fast verschwundenes  Wort wieder in unserem Wortschatz auf!  Da steckt viel Herz drin für das Jahr 2021. Das brauchen wir auch.

"Barm" - dieser erste Wort - Teil macht mich etwas ratlos. Das schränkt im Deutschen die Assoziation zu schnell auf "arm" = besitzlos ein. Arm dran ist im kommenden Jahr nicht erst derjenige, der krank wird, sondern auch, wer vereinsamt oder wer zum Beispiel im anstrengenden Gesundheitsdienst einfach  irgendwann ausgelaugt ist.    Wie gut, dass mit dem Wort "Barmherzigkeit" auch das fromme, alte Wort "Erbarmen" verbunden ist. Gott ist ein "Erbarmender"! Dabei ist die hebräische Wurzel genau dieselbe wie für das Wort "Mutterschoß"…!  Daraus also erwächst unsere Lebenskraft: aus Gottes Barmherzigkeit schöpfen wir Kraft.

Gehen Sie so  geborgen und behütet in das Neue  Jahr  2021                                   

Ihre Pfarrerin Ulrike Wortmann-Rotthoff   

 

Gebet:  Barmherziger Gott,  mach mich zu einer Schale,  die offen ist, zu empfangen und zu geben,  dass ich die Schönheit deiner Welt wahrnehme,   die Freude meiner Mitmenschen teile, ihre Liebe erwidere.  Mach mich zu einer Schale, die offen ist für meine Nächsten,  wenn sie besorgt, ratlos, verzweifelt sind,   dass ich etwas weitergebe von der Liebe, von der ich lebe.  Mach mich zu einer Schale, dass ich dein Wort empfange, deinen Weg finde  und dass dein Wille mein Wille wird. Amen.