Pfingsten Predigt Pfarrer Björn Thiel

Predigt über 1 Kor 2,12-16


Haben Sie heute tagsüber etwas Besonders unternommen? Ein Tag mit der Familie oder bei Freunden? Gutes Essen? Oder haben Sie sich überraschen lassen, was heute auf Sie zukommen wird? Pfingsten ist von allen kirchlichen Festen das mit den wenigsten Traditionen. Es gibt keine Eiersuche, keinen traditionellen Spaziergang, keinen geschmückten Baum und keine Geschenke. Vielleicht ist das ja gerade gut so. Pfingsten - das ist das Fest der Überraschungen.

Eine riesengroße Überraschung muss es für die Jünger und Jüngerinnen gewesen sein, als sie fünfzig Tage nach der Auferstehung und zehn Tage nach der Himmelfahrt Jesu Christi wieder zusammen in Jerusalem saßen. Viele waren in die Stadt gekommen, um das Wochenfest zu feiern. Das jüdische Wochenfest, ein großes Wallfahrtsfest, stand am Beginn der Weizenernte. Ein Erntedankfest, an dem die Menschen Gott für die Ernte dankten, die sie in diesem Jahr erwarten konnten. An Pfingsten kam man nach Jerusalem.

So auch die Jünger Jesu. Männer und Frauen, die zu Auferstehungszeugen geworden waren und vierzig Tage mit dem auferstandenen Christus geteilt hatten. Jetzt waren sie wieder allein. Ich stelle mir vor, dass sie miteinander in einem der Häuser saßen und ratlos waren. Die Zeit, in denen Jesus bei ihnen gelebt hatte, war endgültig vorbei. Seit ein paar Tagen war auch der Auferstandene nicht mehr bei ihnen. Wie sollte es jetzt weitergehen? Sollen wir so weitermachen wie immer, hat vielleicht einer gefragt. Und was war denn "immer"? Na klar, Pfingsten in Jerusalem.

Aus "wie immer" an Pfingsten wird das Fest der Überraschungen. Als sie da zusammensitzen in einem Haus in Jerusalem, bekommen sie überraschenden Besuch. Nicht dass sie ihn erwartet hätten. Wie es eben so ist mit Überraschungsgästen. Ich bin's, ruft der Heilige Geist, und bleibt nicht an der Türschwelle stehen. Er zieht ein. Gewaltig. Er bringt alles durcheinander. Das sorgfältig gerichtete Essen. Die Gemeinschaft des Gewohnten. Den Trost des Vertrauten. Flammenzungen erscheinen. Der Geist setzt Menschen in Bewegung wie ein starker Wind. Menschen sind Feuer und Flamme, begeistert. Sogar Sprachgrenzen gelten nicht mehr.

Und auf einmal wird alles anders. Auf einmal entstehen neue Ideen. Einige von den Jüngern beginnen zu erzählen, was sie mit Jesus erlebt haben. Wie er starb und auferstand. Wie er ihr Leben verändert hat. Wie er ihnen von Gott erzählt hat. Andere hören zu, lassen sich begeistern, und es entsteht eine Gemeinschaft. Pfingsten, das Fest der Überraschungen, der Geburtstag der Kirche. Allerdings nicht für alle. Manche denken, die Jünger hätten zu tief ins Glas geguckt. Der Geist weht eben, wo er will.

Einige Jahre später setzt sich einer hin und schreibt einen Brief. Auch er ist begeistert von dem, was an Pfingsten begonnen hat. Auch er ist in Bewegung gesetzt worden. Auch in sein Leben ist dieser Überraschungsgast eingebrochen. Und dann hat er begonnen, anderen davon zu erzählen. Uns ist er vor allem durch seine Briefe bekannt geworden. Ich lese den Predigttext für den heutigen Pfingstsonntag. Er steht im ersten Brief des Paulus an die Korinther im zweiten Kapitel:

1. Kor 2, 12-16

12 Wir haben aber nicht den Geist dieser Welt empfangen,

sondern den Geist, den Gott selbst uns schickt.

Dadurch können wir erkennen, was Gott uns geschenkt hat.

13 Davon reden wir nicht in Worten,

wie sie die menschliche Weisheit lehrt.

Sondern wir reden in Worten, die der Geist Gottes lehrt.

Was der Geist Gottes bewirkt, das erklären wir so,

wie er selbst es uns eingibt.

14 Ein Mensch, der Gottes Geist nicht hat,

nimmt nichts an, was vom Geist Gottes kommt.

Er hält es für eine Dummheit und kann damit nichts anfangen.

Denn nur mithilfe des Heiligen Geistes 

kann es richtig eingeschätzt werden.

15 Aber ein Mensch, der Gottes Geist hat,

kann das alles richtig einschätzen.

Dabei kann sich kein anderer ein Urteil über ihn anmaßen.

16 Denn: "Wer kennt die Gedanken des Herrn

und wäre in der Lage, ihn zu beraten?"

Aber wir haben Gedanken, die von Christus kommen!

Pfingsten ist das Fest der Überraschungen. Auch dieser Predigttext ist vielleicht für manchen überraschend: überraschend trocken …

Paulus hat eine überraschende Erfahrung gemacht und, wie er halt ist, gebraucht er große Worte, um davon zu berichten. Auch in sein Leben kam der Heilige Geist als Überraschungsgast. Und auf einmal war alles anders. Paulus war ein feuriger Kämpfer gegen die Christen. Hat alles dafür eingesetzt, um Christen gefangen zu setzen. Und dann: seine Erfahrung vor Damaskus, als Christus ihm erschienen ist. Da wurden seine Maßstäbe verrückt. Was er vorher aus ganzem Herzen abgelehnt hatte, wird für ihn auf einmal zur Wahrheit: Wenn ich auf den gekreuzigten Christus sehe, so sehe ich auf Gott. Gott ist nirgendwo anders als dort am Kreuz! Genau da, wo ich ihn nicht vermutet hätte, ist Gott! Und so ist er auch für mich da. Weil das Kreuz nicht das letzte Wort ist. Der Gekreuzigte ist auferstanden.

Und Paulus erkennt: Er soll Zeuge werden. Dafür, dass Gott die Welt so sehr liebt, dass er in ihr zu Hause sein will. Als Mensch, der gelitten hat und gestorben ist. Paulus soll Zeuge dafür sein, dass Gott die Welt so sehr liebt, dass er sein Leben gibt und unseren Tod teilt. Und dafür, dass das Leben stärker ist als der Tod. Diese überraschende Wahrheit hat sein Leben auf den Kopf gestellt. In einem einzigen Augenblick. Die Wahrheit, dass Gott da ist, wo ich ihn am wenigsten vermute.

Pfingsten ist das Fest der Überraschungen. Der Heilige Geist ist ein Überraschungsgast. Wenn ich ehrlich bin, sind mir Überraschungsgäste nicht immer willkommen. Vielleicht habe ich mich auf einen behaglichen Abend zu Hause gefreut. Und auch nicht aufgeräumt. Und trage meine alten bequemen Klamotten, die wirklich nicht mehr repräsentativ sind. Und dann steht jemand vor der Tür. Er strahlt mich an und versteckt sein Lächeln hinter einem Blumenstrauß. Schnell zusammengerupft hat er die Blumen aus dem Feld am Straßenrand. Er wollte halt nicht mit leeren Händen kommen. Er stellt seinen Fuß in meine Tür, und ich seufze innerlich, trete zur Seite und lasse ihn ein. Mein Sofa kann ich wohl vergessen. Meinen ruhigen Abend auch. Aber auf einmal, als er da so im Flur steht und lächelt, heiße ich ihn doch willkommen. Er verändert etwas. Nicht nur, weil er mir Blumen mitbringt. Auf den ersten Blick waren die Feldblumen ja eher ein bisschen kümmerlich. Aber auf einmal werden sie wunderschön. Denn sie sind sein Geschenk an mich. Und mein Überraschungsgast, mit dem ich jetzt mein Abendessen teile, der doch eigentlich alles durcheinander gebracht hat: ich verdanke ihm eine tiefe Wahrheit. Er ist zu mir gekommen, weil er mich mag. Ich bin ihm so viel wert, dass er mir sogar etwas mitgebracht hat. Ich kann nicht alles planen und kontrollieren. Das Leben blüht dort am schönsten, wo ich es am wenigsten vermute. Und dort, wo ich vom Sofa des Gewohnten aufbreche.

Der Heilige Geist, ein Überraschungsgast - damals vor Damaskus hatte Paulus ihn ganz bestimmt nicht eingeladen. Er kam ganz unerwartet. So haben es Überraschungsgäste eben an sich. Ein Geschenk hatte aber auch er dabei. Sein Geschenk sah auf den ersten Blick noch viel weniger wie ein Geschenk aus als meine Blumen. Sein Geschenk: ein Mensch am Kreuz. Blutend und sterbend. Hätte der Gast nicht mit einem breiten Lächeln den Fuß in die Tür gestellt, Paulus wäre vollkommen abgestoßen gewesen.

Aber der Heilige Geist, der Überraschungsgast, hat ihm die Augen geöffnet. Jedem von uns will er, wie Paulus sagt, die Augen öffnen, damit wir erkennen, was Gott uns schenkt. Was?, sagt jemand - ein leidender, sterbender Mensch am Kreuz? Wie kann das allen Ernstes ein Gastgeschenk sein? Lass dir doch die Augen öffnen, sagt der Gast leise, aber unüberhörbar. Gerade darin liegt mein Gastgeschenk: dass ich dort bin, wo niemand hin will. An den Orten, die du gottverlassen nennst oder menschenverlassen. In deinem Elend, das du vor allen verbirgst und vor dem du sogar deine eigenen Augen verschließt. In deiner Angst, deiner Trauer und in deinem Tod. Da ist das Leben, weil Gott dort ist. Dort will er mit dir zusammen sein, weil er dich liebt. Du bist überrascht?, fragt er. Recht so. So soll es sein. Wer sich überraschen lässt, wagt es, aus dem Gewohnten aufzubrechen. Sein Sofa zu verlassen.

In der Hand hält der Überraschungsgast das Kreuz. Sein Gastgeschenk. Und wenn ich ihm in die Augen sehe, entdecke ich noch etwas: Klarheit. Er lehrt mich, die Geister zu unterscheiden. Er lehrt mich zu unterscheiden, was mir gut tut und was nicht. Er zeigt mir: Das Wichtigste im Leben bekomme ich geschenkt. Es tut mir und anderen nicht gut, wenn ich immer meine, ich müsste das Wesentliche im Leben selbst schaffen. Immer alles planen und kontrollieren. Der Überraschungsgast setzt meine Maßstäbe zurecht. Und wenn ich mich überraschen lasse, ist auf einmal alles anders.

Pfingsten ist das Fest der Überraschungen. Bitten wir ihn doch herein, den Überraschungsgast. Den Heiligen Geist. Er steht schon längst an unserer Tür. Heute Abend wenn wir nach Hause kommen und auch sonst an mancher Türschwelle, die wir durchschreiten.

Amen