Predigt Ostern 2021, 2. Mose 14 - Pfarrer Björn Thiel

Vorgeschlagener Predigttext für Ostersonntag: 2 Mose 14,8-14.19-23.28-30a; 15,20f 8

Und der HERR verstockte das Herz des Pharao, des Königs von Ägypten, sodass er den Kindern Israels nachjagte, obwohl sie durch eine hohe Hand auszogen. 9 So jagten ihnen die Ägypter nach mit allen Rossen, Streitwagen und Reitern des Pharao und mit seiner Heeresmacht und erreichten sie, als sie sich am Meer gelagert hatten, bei Pi-Hachirot, gegenüber Baal-Zephon. 10 Und als der Pharao nahe zu ihnen kam, erhoben die Kinder Israels ihre Augen, und siehe, die Ägypter zogen hinter ihnen her! Da fürchteten sich die Kinder Israels sehr, und sie schrien zum HERRN. 11 Und sie sprachen zu Mose: Gibt es etwa keine Gräber in Ägypten, dass du uns weggeführt hast, damit wir in der Wüste sterben? Warum hast du uns das angetan, dass du uns aus Ägypten herausgeführt hast? 12 Haben wir dir nicht schon in Ägypten dieses Wort gesagt: »Lass uns in Ruhe, wir wollen den Ägyptern dienen?« Denn es wäre für uns ja besser, den Ägyptern zu dienen, als in der Wüste zu sterben! 13 Mose aber sprach zum Volk: Fürchtet euch nicht! Steht fest und seht die Rettung des HERRN, die er euch heute bereiten wird; denn diese Ägypter, die ihr heute seht, die werdet ihr nicht wiedersehen in Ewigkeit! 14 Der HERR wird für euch kämpfen, und ihr sollt still sein!19 Da erhob sich der Engel Gottes, der vor dem Heer Israels herzog, und trat hinter sie; und die Wolkensäule vor ihnen machte sich auf und trat hinter sie. 20 So kam sie zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels; und sie war [für die einen] Wolke und Finsternis, und [für die anderen] erleuchtete sie die Nacht, sodass diese und jene die ganze Nacht nicht zusammenkamen. 21 Als nun Mose seine Hand über das Meer ausstreckte, da trieb der HERR das Meer die ganze Nacht durch einen starken Ostwind hinweg; und er machte das Meer zu trockenem Land, und die Wasser teilten sich. 22 Und die Kinder Israels gingen mitten in das Meer hinein auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen wie eine Mauer zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken. 23 Die Ägypter aber jagten ihnen nach und zogen hinter ihnen her, alle Rosse des Pharao, seine Streitwagen und seine Reiter, mitten ins Meer. 28 Denn die Wasser fluteten zurück und bedeckten die Streitwagen und Reiter der ganzen Macht des Pharao, die ihnen ins Meer nachgefolgt waren, sodass auch nicht einer von ihnen übrig blieb. 29 Aber die Kinder Israels gingen trocken mitten durch das Meer, und das Wasser war ihnen eine Mauer zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken. 30 So errettete der HERR Israel an jenem Tag aus der Hand der Ägypter. (…) 15,20 Und Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, nahm das Tamburin in ihre Hand, und alle Frauen folgten ihr nach mit Tamburinen und im Reigen. 21 Und Mirjam antwortete ihnen: Singt dem HERRN, denn hoch erhaben ist er: Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt!

Es mag überraschen, dass wir am Ostersonntag über einen Text aus dem Alten Testament nachdenken sollen. Zugegeben, er ist sehr bekannt. In keiner Erzählung und in keinem Hollywood-Streifen darf diese Szene fehlen, die sich mit dem Durchzug Israels durch das Schilfmeer beschäftigt. Sie hat alles, was man für eine gute Story benötigt: Dramatik, Spannung, Action … und ein Happy End. Dennoch wirkt sie an diesem Tag, wo es um das leere Grab und die Auferstehung Jesu gehen soll, doch etwas fremd. Was hat Ostern mit dem Meerwunder zu tun? Gibt es Anknüpfungspunkte oder gar Parallelen? Immerhin hat Jesus einmal auf Jona verwiesen, als man von ihm einen Beweis für seine Autorität verlangte. Später hat man dies als Hinweis auf seinen Tod und seine Auferstehung verstanden. Doch von dem Durchzug durch das Meer hat er, nach allem, was uns überliefert ist, nie gesprochen.

Vielleicht finden wir dennoch etwas, das beide Szenen miteinander verbindet. Ich erinnere mich, dass für die Menschen damals in Israel das Meer schon immer gleichgesetzt wurde mit Chaos, Gefahr und Tod. Die Israeliten sind nie ein Seefahrervolk wie zum Beispiel die Phönizier geworden, trotz der Lage am Mittelmeer. Vor der See hatten sie immer Respekt, wenn nicht sogar Furcht. Selbst der See Genezareth war ihnen nicht immer geheuer, auch wenn nicht wenige durch die Fischerei ihr Brot verdienten. Ich stelle mir vor, wie den vor den Ägyptern Flüchtenden damals zumute gewesen sein muss, als ihnen Mose den Weg mitten durch das Meer wies. Für sie war es, als durchschritten sie den Tod selbst, der ja mit jedem Schritt eine reale Gefahr für alle darstellte. Wir lange haben sie für diesen Marsch gebraucht? Drei Tage? Wir wissen es nicht.

Was aber berichtet wird: Israel schafft es! Niemand geht verloren. Alle retten sich an das andere Ufer. Und als dann noch die bis dahin zurückgehaltenen Wassermassen die ihnen nachjagenden Soldaten des Pharaos überfluten und die gesamte Streitmacht vernichtet wird, können sie es kaum fassen. Sie feiern, als hätten sie ein neues Leben geschenkt bekommen. Es wird gesungen und getanzt. Vor was soll man sich denn noch fürchten, wenn man ein solches Wunder erlebt hat? Gott hat wieder einmal bewiesen, dass er an seinem Volk festhält, dass er alles in Bewegung versetzt, um ihnen einen Neuanfang im ausgelobten Land zu ermöglichen. Der himmlische Vater ist für uns, wer will gegen uns sein?! Niemand und nichts kann sie von der Macht und Liebe Gottes trennen – nicht einmal die Tod bringenden ägyptischen Streitwagen.

Vielleicht erkennen wir langsam, dass diese Geschichte an Ostern doch nicht so fehlplatziert ist. Ostern heißt: Da ist jemand durch den Tod gegangen, ohne dass der ihm etwas anhaben konnte – so wie Israel einst durch das Meer gewandert ist. Und wie die Menschen damals das rettende Ufer erreichen konnten, so verspricht uns die Auferstehung, dass der Tod nicht das Ende des Weges bedeutet, den wir mit Gott gehen. Wir mögen von ihm bedroht sein, doch wir sind ihm nicht ausgeliefert. Durch ihn hindurch werden wir immer das Leben feiern dürfen, das uns Gott schenkt. Es kostet sicher Mut, sich auf diesen Gedanken einzulassen, auch Vertrauen und vor allem Hoffnung. Doch letztendlich liegt es nicht an uns, an unserem Glauben, ob wir das rettende Ufer erreichen. Das liegt – Gott sei Dank – allein in unseres Schöpfers Hand. Und die lässt uns nicht los, niemals.

So durfte Israel erleben, was uns allen geschenkt ist: der Neuanfang! Es wird dabei nicht einfach alles auf Null gesetzt, es wird kein Reset-Knopf gedrückt, der den Speicher leert und das Leben neu booten lässt. Wir bleiben die wir sind, auch durch den Tod hindurch. Dieses Leben prägt uns, aber was wir hinter uns lassen, wird uns nicht mehr schrecken, wird uns keine Angst mehr einjagen, wird uns nicht mehr verfolgen. Wir können nach vorne schauen, in Richtung gelobtes Land, das noch unentdeckt vor uns liegt. Und wir werden singen und tanzen und das neue Leben feiern.