Predigt 1. Sonntag n. Trinitatis - Pfarrerin Ulrike Wortmann-Rotthoff (06.06.2021)

Staunen

Jesus sagt: „Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.“ Mt 6,28f

„War das schön!“ - ich habe gelächelt, als ich diesen Kommentar las: Sie kennen doch das Gefühl, das ich damit meinte: Freude, die lange nachwirkt, Freude, die überrascht – STAUNEN: Mensch, war das schön! Leuchtende Erinnerungen an den Inspirationsgottesdienst: Sattes Grün- Himmelblau – wunderbare Musik und endlich eine große Gemeinde, der man die Lust am Mitsingen deutlich anmerkte: Ja klar: Wir auch – wir singen gleich endlich mal wieder zusammen: »Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben…“ Da sind wir ganz beim alten Paul Gerhard… auch wenn Sie sicher schon kopfschüttelnd manchen Zeitgenossen beobachtet haben, der beim Gang durch die Natur mehr auf das Smartphone schaute als auf die bunten Farben dessen, was Gott da wachsen und gedeihen lässt. „Man muss eben ein Auge dafür haben..“ genau.. Staunen können, und dafür gönnen wir uns Zeit – hier und jetzt

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Zum Beispiel für diese Blüte aus dem Pfarrgarten… da stehen sie wie gesät… ganz richtig.. sie säen sich selbst aus .. die wilden Akelei… in schillernden Farbschattierungen zwischen dunklem purpurviolett und zartrosa.. Traubeneweise… und es ist eine Freude, eine einzelne solche zarte Blüte genau zu betrachten.. vielfältig gefältelt…und wenn man dann einen Moment die Ohren spizt, hört man auch das laute Summen, da wo sie wachsen.. Akelei sind nicht nur eine Augenweide, sie sind auch eine Bienenweide…! .. Ist das nicht schön: „sie ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide…“ Das sagt Jesus in der Bergpredigt. Von den Lilien sagt er das.

Und hat dabei keine gezüchteten vor Augen.. sondern wilde Liliengewächse, wie sie bei uns in der Gegend auch noch vorkommen.. auf Magerrasen.. im Steinbruch.. wo sie hoffentlich heute nicht plattgetreten werden von rücksichtlosen Freizeitaktivisten… ein Gleichnis für uns: „Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.“ Mt 6,28f Ja, wir haben allen Grund zum Staunen. Auch der Mensch ist ein Wunder dieser Welt. Gleich darf ich ein kleines Mädchen taufen.. wir erleben das derzeit leider noch nicht wieder im Gemeindegottesdienst. Aber sicher haben auch Sie Kinder vor Augen: Und Momente, wo sie sagen: Mensch, war das schön! Ich staune immer wieder, wenn ich die ganz Kleinen sehe, die mit Wasser, Sand und ein paar Förmchen schon zufrieden sind. Mehr brauchen sie nicht für ihr Spiel. Daraus bauen sie ihre Welt. Da können kreative Gedanken reifen und wahre Kunstwerke entstehen. Staunen – haben wir Erwachsenen das denn verlernt?? „Der Mensch, ein Leib, den deine Hand so wunderbar bereitet, der Mensch, ein Geist, den sein Verstand dich zu erkennen leitet: der Mensch, der Schöpfung Ruhm und Preis, ist sich ein täglicher Beweis von deiner Güt und Größe.“ Vor dreihundert Jahren konnte der Liederdichter noch so unbefangen formulieren… Und wir? Was kommt und denn abhanden, wenn uns das Staunen fehlt? Wir sind schließlich stolz auf unseren erwachsenen Verstand: Das einzige Wesen, das über sich hinaus, das Gott denken kann, das ist der Mensch. Der Mensch kann planen und vorausdenken. Wir können uns vorstellen, was oder wie etwas werden kann. Wir können zurückdenken und erinnern an das, was einst gewesen ist. Und: Ein Mensch kann träumen – von dem, was man sich für die Zukunft wünscht. Damit, genau damit sind wir uns „ein stetiger Beweis…“ für Gottes bestaunenswerte Größe! Ja, das glaube ich.

Und – dass uns etwas an unserem Menschsein fehlt, wenn uns das abgeht: Der Mensch kann dankbar sein. Solange er oder sie staunen kann. Das hängt zusammen: Staunen und Danken. Wir Menschen können dankbar sein, und für das, was wir Gutes erleben. Doch, dankbar sein, das geht: Wie oft haben Sie denn in den letzten Wochen den Satz gehört… „Wir können froh sein, dass wir hier auf dem Land wohnen mit einem Garten und soviel Platz rundherum…“ den Satz könnten wir uns doch mal merken! - oder war das nur eine Floskel? Den Satz könnten wir uns merken und dankbar sein. Denn: Die Natur kann ohne den Menschen, aber der Mensch kann nicht ohne die Natur leben. Wir haben’s doch erlebt! Wir müssen aktiv diese Schöpfung schützen, denn wir brauchen sie! Die Schönheit der Natur wahrzunehmen: wir alle konnten das durch diese bittere und weltweite Krisen- Erfahrung lernen. Nicht überall war es erlaubt und möglich, noch Spaziergänge oder Radtouren zu machen. Wer einen Balkon, einen Hof oder einen Garten hatte, war glücklicher dran als viele andere, die nur in ihren Räumen bleiben konnten. Also: Es ist doch nicht selbstverständlich, dass die Natur uns gewissermaßen zur Verfügung steht, ganz schnell kann alles ganz anders sein. Werden wir die notwendigen Lehren weitergeben? Achtsamkeit ist gefragt, damit auch unsere Kinder und Kindeskinder staunend die Vielfalt und Schönheit dieser Erde bewundern können… Liebe Gemeinde, und jetzt zieht sich der Schatten über meiner Stirn zusammen: Ich mache mir Sorgen… - Dass viel zu viele nach den langen belastenden Beschränkungen einfach zu schnell zurückkehren wollen, zu dem, was war… als wenn alles in Ordnung gewesen wäre…

Ich mache mir Sorgen, - dass wir zu vergesslich sind… Ich mache mir Sorgen, - dass wieder nur die „Wirtschaftlichkeit“ zählt… als sei das, was uns in den schwierigen letzten Monaten kleine Freude und immer wieder Trost gegeben hat, mit irgendwelchem Geld bezahlbar… Ich mache mir Sorgen, - dass nach dieser Krise die Welt noch mehr als zuvor aufgeteilt sein wird in Arm und Reich. I In den Krisengebieten der Welt, in den Armenvierteln, in den Kriegsgebieten ist der Tod noch viel mehr eingetreten als in der Vor-Corona-Zeit. Es gibt auf unabsehbare Zeit medizinische Versorgung für den einen – den kleineren Teil der Menschheit, und für den Anderen, den Größeren, da bleibt das Sterben… Aber diese Welt gehört doch untrennbar zusammen: Genau das hat dieses Virus gezeigt, das sich an keine Grenzen hält. Eine Konsequenz daraus ist – der Kollektenzweck, den wir im Presbyterium aktuell für den heutigen Sonntag bestimmt haben. Denn wir machen uns Sorgen, dass diese dringenden Themen: Gerechtigkeit und Solidarität an den Rand unseres kirchlichen Lebens gedrängt werden, weil wir nur um uns selber kreisen…

Ja… wir machen uns Sorgen…. Und da trifft es mich wieder: Das Begreifen, wie faszinierend die Worte des Evangeliums doch sind: Wie Jesus seine Zuhörerinnen und Zuhörer damals und uns heute, ganz genau da abholt, wo wir uns selbst hinbewegt haben, wo wir stehen… Weil ER die menschliche Natur wohl kennt, die selbst an einem Sommersonntag unter grünen Bäumen, sich hineinstürzt in die eigene Sorgenspirale – genau so ziellos übrigens, wie die Kehrseite: das gedankenlose Spaß haben wollen… Jesus holt uns ab – wo wir sind- und sagt:

Sorget nicht! Ausgerechnet unter dieser Überschrift steht der berühmte Abschnitt der Bergpredigt, und lenkt unseren Blick auf die Vögel unter dem Himmel, die Akelei im Pfarrgarten und die Lilien auf dem Felde … Sorget nicht! Erst Staunen… Dann fragen: Ist nicht das Leben mehr…? Dann das Ziel beschreiben: Trachtete… macht Euch auf… geht Schritte dahin… Gottes Gerechtigkeit! Das ist das Ziel. Sorget nicht um Euer Leben! Mich rührt dieser Satz an. Ich wünsche Ihnen, mir, uns allen, dass wir uns von dieser Menschenfreundlichkeit Jesu inspirieren lassen. Von IHM, der immer wieder neu, mit einem geradezu unerschöpflichen Reichtum an Ideen und Bildern Menschen ansprach und anspricht – und uns über uns selbst hinausschauen lässt: Damit wir staunen., Wo immer das geschieht, kann ein Stück Welt sich verändern.

Das lässt mein Herz singen…: Mensch ist das schön!

Amen