Predigttext: GOTT hilft dem Armen ohne Ansehen der Person und erhört das Gebet des Unterdrückten. ER verachtet das Flehen der Waisen nicht noch die Witwe, wenn sie ihre Klage erhebt. Laufen ihr nicht die Tränen die Wangen hinunter, und richtet sich ihr Schreien nicht an den, der die Tränen fließen lässt? Wer Gott dient, den nimmt er mit Wohlgefallen an, und sein Gebet reicht bis in die Wolken. Das Gebet eines Demütigen dringt durch die Wolken, doch bis es dort ist, bleibt er ohne Trost. Aber er lässt nicht nach, bis der Höchste sich seiner annimmt und den Gerechten ihr Recht zuspricht und Gericht hält.
An dem Sonntag mit dem Namen „Rogate“ geht es natürlich ums Beten. Eine sehr persönliche Sache, und ganz sicher oft eine emotionsgeladene, wie es denn auch der Bibeltext aus dem Buch Jesus Sirach beschreibt.
Immer, wenn wir beten, hoffen wir auf das Wohlgefallen Gottes. Wohlgefallen heißt nicht, dass wir Gott gefallen wollen oder müssen. Es heißt, dass ER mit einem „Vorschuss“ an Wohl – Wollen auf uns sieht. Und zwar nicht auf unsere angeblichen Leistungen, sondern auf unser Dasein als seine Kinder. „Wer Gott dient, den nimmt er mit Wohlgefallen an..“ heißt es deshalb in diesem Weisheitstext .
Aber Moment: Schaut Gott denn genau hin? Manchmal mögen wir IHM das ja geradezu bitter vor die Füße werfen nach dem Motto: „Da hat Gott wohl gerade weggeschaut!?“
Hingeschaut hat jedenfalls Sophie Scholl. Sie wurde heute vor 100 Jahren geboren wurde (9.Mai 1921). Für Ihr Hinschauen im sogenannten Dritten Reich und für ihre tätige Nachdenklichkeit hat sie – ge- meinsam mit ihrem Bruder und anderen aus der Weißen Rose – einen hohen Preis bezahlt. Sie war noch keine 22 Jahre alt, als sie am 22. Februar 1943 hingerichtet wurde.
Aber sie wusste sich in ihrem Glauben stärker als im Wegschauen und im Ver- schweigen dessen, was in Deutschland angerichtet wurde und was damals vor wenigen Wochen in Stalingrad geschehen war. Ihr Glaube an Gott und ihr Gebet in diesem Vertrauen, das war die stärkste Kraft ihres Lebens. Sie hoffte auf das, was unser Bibeltext so beschreibt: Wer Gott dient, den nimmt er mit Wohlgefallen an. Immer wünschte sie sich, wie aus ihren Briefen zu entnehmen ist, einen „harten Geist und ein weiches Herz“.
Am Sonntag Rogate erinnern wir uns daran, wo Gott genau hinschaut. Gott schaut „ohne Ansehen der Person“ und „auf die Tränen, die der Witwe die Wangen hinunter laufen“ . Das ist eindrücklich. Gott schaut hin, besonders auf die Menschen, die in ihrer Not den Kontakt zu Ihm suchen, die zu ihm „flehen“. Und dann steht da ein wirklich ausgefallener biblischer Vergleich: „… das Gebet reicht bis in die Wolken“.. ja, es „dringt durch die Wolken hindurch“. Stellen Sie sich das einmal bildlich vor: Da muss man zunächst annehmen, dass sich dieser Beter Gott oben im Himmel vorstellt. Aber dann wird‘s ja erst spannend: darf ich mir das so denken, wie wir uns heute eine „Cloud“ (= Wolke) denken? Sozusagen eine „Speichercloud“, in der sich all‘ die Gebete sammeln, als warteten sie auf göttliche „Bearbeitung“. Das tröstliche daran: Gebete bleiben. Unsere Gebete bleiben, selbst wenn wir sie längst vergessen haben. Das Bild hat eine gewisse Naivität - zugegeben.
Aber es ist ein schöner Vergleich für das unbedingte Vertrauen, dass im Kontakt zu Gott nichts umsonst ist, selbst wenn wir meinen, wir hätten vergeblich gebetet.
Gottes Wohlgefallen kann man sich nicht verdienen – mit nichts. Noch der größte oder der tiefste Glaube bleiben ein Geschenk der Gnade. Aber das Hinschauen und das tätige Nachdenken können den Glauben festigen; sie lassen ihn wachsen wie den Baum aus dem Senfkorn. Obwohl immer Zweifel bleiben, steht der Baum fest in seiner Gewissheit: Gott hat Gefallen an mir – nicht wegen meines Tuns, sondern weil ich sein Kind bin. Als sein Kind folge ich seinem Willen, wo immer es geht. Und hoffe wie Sophie Scholl darauf, dass Gott auch mich dann aufnehmen wird in seine weiten Arme.
Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen Ihre Pfarrerin Wortmann-Rotthoff