Predigttext 2. Petrus 1,16-21
16 Denn wir haben uns nicht etwa auf klug ausgedachte Geschichten gestützt, als wir euch ankündigten, dass Jesus Christus, unser Herr, wiederkommen und seine Macht offenbaren wird. Nein, wir haben seine majestätische Größe mit eigenen Augen gesehen. 17 Wir waren nämlich dabei, als er von Gott, dem Vater, geehrt wurde und in himmlischem Glanz erschien; wir waren dabei, als die Stimme der höchsten Majestät zu ihm sprach und Folgendes verkündete: »Dies ist mein geliebter Sohn; an ihm habe ich Freude.« 18 Wir selbst haben die Stimme gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren – diese Stimme, die vom Himmel kam. 19 Darüber hinaus haben wir die Botschaft der Propheten, die durch und durch zuverlässig ist. Ihr tut gut daran, euch an sie zu halten, denn sie ist wie eine Lampe, die an einem dunklen Ort scheint. Haltet euch an diese Botschaft, bis der Tag anbricht und das Licht des Morgensterns es in euren Herzen hell werden lässt. 20 In diesem Zusammenhang ist es von größter Wichtigkeit, dass ihr Folgendes bedenkt: Keine einzige prophetische Aussage der Schrift ist das Ergebnis eigenmächtiger Überlegungen des jeweiligen Propheten. 21 Anders gesagt: Keine Prophetie hat je ihren Ursprung im Willen eines Menschen gehabt. Vielmehr haben Menschen, vom Heiligen Geist geleitet, im Auftrag Gottes geredet.
Um ehrlich zu sein: Es ist nicht sicher, wann der zweite Petrusbrief geschrieben und von wem er verfasst wurde. Dass es der Apostel Simon Petrus gewesen ist, der Jesus verleugnete und auf dem trotzdem die Kirche gebaut werden sollte, ist eher unwahrscheinlich. Es war in den ersten Jahrhunderten gar nicht so unüblich, sich der Autorität einer bekannten und geschätzten Persönlichkeit zu bedienen, um sich Gehör zu verschaffen und eine Leserschaft zu sichern. Was heutzutage bestenfalls als Ghostwriting geduldet, meist jedoch als Betrug gewertet wird, war damals eine Form literarischen Handelns, das teilweise als hohe Wertschätzung gegenüber dem gewählten Autor angesehen wurde. Manche Schriften wurden auch im Nachhinein – oft unabsichtlich – falsch zugeordnet, weil sie eine große inhaltliche Verwandtschaft mit dem Original aufwiesen. Heutzutage besteht die Gefahr, dass solche Schriften gerade nicht die Autorität besitzen, die sie anstreben, sondern als Fälschungen gewertet werden. Und damit auch ihr Inhalt missbilligt wird und unglaubwürdig erscheint oder zumindest an Überzeugungskraft verliert. Wäre das bei dem zweiten Petrusbrief dann auch der Fall?
Immerhin ist es dem Autor wichtig zu betonen, dass er bezüglich der Geschichte und Geschichten des Jesus von Nazareth Augenzeuge gewesen sei: “Wir haben seine majestätische Größe mit eigenen Augen gesehen …” Er will damit dem Eindruck entgegentreten, als fuße der christliche Glaube auf Erdachtes, als sei das Evangelium eine Erfindung und nicht wahr. Dabei geht es ihm weniger um das, was war, sondern um das, was noch kommt: die Wiederkunft Christi. Sie bildete in den Anfängen des Christentums den Horizont, auf den sich die neue Glaubensrichtung zubewegte. Sie gab den Menschen Hoffnung, eine Perspektive, an der man sich orientieren und auf die man hin leben und glauben konnte. Aus ihr schöpfte man so viel Kraft, dass man Bedrohungen, Gewalt, Verfolgung, Folter und sogar den Tod ertrug. Schon bald würde alles eine Wendung nehmen, die dermaßen umfassend sein sollte, dass alles neu erscheinen würde. Und dann hätte sich das Durchhalten gelohnt. Und genau darauf, auf das Durchhalten, zielt der Autor ab.
Durchhalten … Auch wir hören das seit Wochen und Monaten immer wieder. Wir müssen durchhalten, um der Pandemie Herr zu werden. Für viele ist das nicht einfach, manche kommen an ihre finanziellen und psychischen Grenzen. Die Maßnahmen und Einschränkungen im alltäglichen Leben erfordern Disziplin, der Lockdown fordert unsere Phantasie und Flexibilität. Wir machen uns Sorgen um unsere Existenz, um das Leben unserer Alten, um die Zukunft unserer Kinder, um den Zusammenhalt der Gesellschaft. Wir hoffen, dass es in absehbarer Zeit eine Wende gibt, dass der Impfstoff in ausreichender Zahl zur Verfügung steht und seine Wirkung entfaltet, dass Medikamente den Heilungsprozess verbessern und die Sterbefälle reduzieren, dass wir bald wieder ein Leben führen können, das wir aus der Zeit vor Corona kennen und die nicht wenigen vorkommt wie ein verloren gegangenes Paradies. Insofern sind auch wir in einer Situation, in der wir auf einen Silberstreif am Horizont warten und auf ein Ziel hinarbeiten, das uns eine bessere Zukunft verspricht.
Was uns erwarten könnte, das wird in aufwändigen Verfahren prognostiziert und modelliert. Wirklichen Einblick und Durchblick haben dabei nur wenige Menschen, die sich professionell mit der Materie beschäftigen. Was den meisten bleibt, ist, ihrer Expertise zu vertrauen und darauf zu hoffen, dass sie mit ihren Vorhersagen dazu beitragen, dass wir rechtzeitig und effektiv reagieren können. Wir müssen uns also auf sie verlassen. Genau das wünscht sich der Autor des zweiten Petrusbiefes auch von seinen Adressaten: Verlasst euch auf die Weissagungen der Propheten. Er geht also über sich hinaus, baut nicht nur auf das Argument der Augenzeugenschaft. Überzeugend ist für ihn auch die Botschaft all der Männer und Frauen, die vormals im Namen Gottes gesprochen haben, die also nicht ihre eigenen Interessen, ihre eigenen Ideen verbreitet, sondern das Wort des himmlischen Vaters in die Welt getragen haben. Hoffnung auf Besserung ist also von Anbeginn kein menschliches Bemühen, keine aus der Not heraus geborene Fiktion, sondern Echo der Zuwendung Gottes, Ausfluss seiner Liebe zu seinen Geschöpfen.
Anders ausgedrückt: Diese Hoffnung ist nicht von unserem Tun, von unserem Erfolg oder Scheitern abhängig, sondern einzig und allein von der Gnade unseres Schöpfers – und damit nicht den Höhen und Tiefen des Lebens ausgeliefert, sondern eine Konstante in unserer Existenz - selbst in Zeiten der Krise, wie wir sie jetzt als Gesellschaft, aber so oft auch als persönliches Schicksal durchleben. Um ehrlich zu sein: Selbst wenn der zweite Petrusbrief nicht von Petrus selbst geschrieben sein sollte, seine Botschaft fügt sich nahtlos an die Verkündigung Jesu und der Propheten an. Insofern ist die Urheberschaft des Briefes in der Tat zweitrangig. Was er schreibt ist wahrhaftig Evangelium – und nur darum geht es.
Amen