Andacht am 4. Sonntag nach Ostern: Kantate – Pfarrerin Ulrike Wortmann-Rotthoff

Kanzelgruss

Wenn mir das jemand vor zwei Monaten beschrieben hätte…

Anfang März beim Vorstellungsgottesdienst - ( da hängen die Plakate!)

 "Du spinnst ja…!" hätte ich reagiert. 

Und dann geschildert:

Am 10.Mai 2020 - da sieht das so aus in der Stiftskirche:

Um fünf vor Zehn haben die Presbyter und die Küsterin alle Hände voll damit zu tun, denen, die im letzten Augenblick kommen 

ganz in Ruhe zu sagen:

Nein - hier gibt's höchstens noch einen Stehplatz für Sie.

Alle reservieren Bänke sind schon seit einer halben Stunde besetzt 

und die Stühle im Mittelgang auch!  320 Plätze Minimum.

Derweil hätte ich mit den hochnervösen 13 Konfis oben im Jugendraum im Kreis gestanden. Tief durchatmen. 

Und dann: Die Hände falten: 

ein letztes Gebet, bevor wir uns auf den Weg machen:

Der Einzug. Das ist der erste Adrenalinkick.

So wäre das gewesen.

 "Das haben wir immer so gemacht!"  

Ich kenne das nicht anders:

Konfirmation.

Festgottesdienst mit großem Aufgebot.

Volkskirchlicher Hochbetrieb. 

Da ist was los in der "Glockendisco" wie der Leedener lässig sagt,

und sich trotzdem an klare Regeln hält: 

selbstverständlich und unausgesprochen:

da wird sich schick gemacht.

Ja sicher - ich wäre auch beim Frisör gewesen.

Und die rote Stola hätte ich selbstverständlich gebügelt.

Und die Karte für das Nachbarskind hätten doch auch Sie nicht vergessen!

Eben.

Das ist alles minutiös vorbereitet. Bestens geplant. 

Gebucht. Besprochen.

Die Choreographie bis in die Generalprobe am Altar exakt geübt.

"Das ist Dein Tag!" -

So heißt der Anfangssatz in meinem Gruß an die Konfirmandinnen und Konfirmanden, den wir nach diesem Gottesdienst  an die Haustüren bringen.

ABER:

Heute ist alles anders.

Und nein: Wir spinnen nicht.

10.Mai 2020 unter Schutzkonzept in der Corona-Pandemie.

Eine Unterbrechung.

Eine Unterbrechung, wie sie sich niemand von uns hätte vorstellen können.

Eine Unterbrechung auch unseres kirchlichen Betriebs,

eine Unterbrechung unseres gesamten gesellschaftlichen Lebens. 

Zwei Monate lang. Mindestens.

Bleierne Zeit.

Was zuerst  mit vorbildlicher Einsatzbereitschaft und Geduld, 

mit Gemeinschaftssinn und Solidarität

mit  vielfältigen kreativen Ideen von uns allen geschultert wurde,

droht langsam zu kippen.

Der Druck wächst.

Verständlich. Ja sicher.

Der Druck wächst. 

Und die Politik gibt nach. Muss vielleicht nachgeben….

Manchen Ruf nach Lockerung kann ich nachvollziehen, 

bei manchem schüttele ich nur den Kopf…

Das geht Ihnen vermutlich nicht anders.

Also: Lockerungen?

Auch im kirchlichen Betrieb?

Der Druck wächst, denn wir sind gewohnt, 

Planungssicherheit zu haben. Alle.

Wir wollen's wissen. Wann, wie, wo, wer….

Eltern fragen besorgt:

"Konfirmation, ein Fest im Kreise der Familie und der Freunde, 

ein besonderer Tag für unsere Kinder, unsere Konfirmanden.

Gedanken kommen nun natürlich auf:

wie soll dieses Fest so gefeiert werden können? 

Wie sehen die Planungen der Kirche bzgl. der Konfirmationen aus?"

Was würden Sie auf diese mail ehrlich antworten?

Ehrlich?

Ich nehme da den Bibeltext für den 10.Mai 2020.

Der HERR tut nichts als fügen… dachte ich, als ich ihn las.

Da geht es um einen Festtag, einen ganz besonderen.

Und um seine Unterbrechung.

Eine nicht eingeplante Unterbrechung im gottesdienstlichen  "Normalbetrieb".

Hören Sie selbst.

Es ist ein beinahe unbekannter Text.

Der sich heute entfalten kann… weil grade nicht Konfirmation ist.

2.Chronik5, 2ff - Ein Festgottesdienst - Lesung

In Jerusalem war alles hervorragend geplant.

Es geht da immerhin um die Einweihung des in 20igjähriger Bauzeit 

neu errichteten Tempels in der Hauptstadt. 

Ein historisches Datum. Man findet heute noch Grundmauern.

955 v.Christus. Salomos Tempel  fertiggestellt.

Die Gästeliste ist entsprechend eindrucksvoll…

Da musste wahrscheinlich auch monatelang vorher reserviert werden… ;-)

Die Honoratioren sind versammelt, die Ältesten, 

die Häupter der Sippen, die Fürsten.. alles, was Rang und Namen hat…

Und man hat sich schick gemacht. Garantiert.

Dazu das religiöse Bodenpersonal,

Priester und Leviten, hunderte. Optisch eindrucksvoll,

"angetan mit feiner Leinwand.."

Der Höhepunkt der Feierlichkeiten:

Der Einzug.

Der Einzug der Bundeslade in den Tempel:

Jedes Detail der Choreographie ist geprobt.

Die Vorbereitungen - unermesslich: ein Opferfest auch,  

das alles andere bei weitem überbietet…

Schafe und Rinder werden geopfert… so viele.. heißt es da,

dass niemand es zählen oder berechnen kann…

Gegenüber dieser opulenten Inszenierung übrigens,

erscheint ja die Bundeslade

um die es doch eigentlich gehen sollte - 

irgendwie bescheiden! Beinahe wie eine Nebensache:

ein Holzkasten. Und darin nichts als die zwei Tafeln.

Die Tafeln mit den 10 Geboten,

die unsere Konfirmanden ja übrigens bis heute lernen….

.. wieder so eine Verbindung  - 

empfinden Sie die inzwischen… ja wie.. bitter? ironisch… 

oder

erhellend.. weitsichtig…?

Die Bundeslade.

Das vielleicht noch einmal ganz deutlich,

damit man die Tragweite sieht, von dem, was da passiert:

Die Bundeslade - ein Holzkasten mit den 10 Geboten drin: 

Grundlage des Bundes,

Grundlage des Zusammenlebens,

Das war der Ort - wenn überhaupt… wo man IHN, 

den Unnahbaren, den Ewigen,

in seiner Gegenwart wahrnehmen könnte…

wenn denn ein Mensch das kann…

GOTT sehen….

So war ER mitgezogen…

hatte sein wanderndes Gottesvolk begleitet…  

Die Bundeslade, das transportable Wüstenheiligtum,

wo  ER sich lagerte… lagern konnte - unberechenbar,

menschlichen Plänen nicht zu unterwerfen…

in der Wolkensäule auf dem Weg durch die Wüste, 

eine Feuersäule des Nachts…

Nun aber ist das Volk längst sesshaft geworden.

Ist ER, der Ewige, GOTT … ist ER das auch?

So dachten Sie und hatten gebaut… für die Bundeslade… 

wenn überhaupt  -

würde ER so greifbar bleiben,

ER der thront über den Flügeln der Cherubim…?

Der Festgottesdienst schreitet voran…

Das stehen sie… Hunderte, tausende..

Mit Harfen und Zimbeln…

Und gerade als die 120 Priester in die Trompeten schmettern wollen …

Da passiert es…

"Und es war, als wäre es EINER, der trompetet und sänge,

als hörte man eine Stimme loben und danken dem HERRN…"

…Nein: menschlich kann das nicht sein!

So einig sind wir Menschen nicht. Selbst bei professionellster Planung nicht… so einig ist sich keine Masse…

Ich erinnere mich z.B. gern an "Martin-Luther-King" das Chormusical  in der Gruga: Tausende von Sänger*innen und  Instrumenten… !

.. dennoch… 

"Und es war, als wäre es EINER…"  Echt? Ist das menschenmachbar?

Nein.

Da bahnt sich was an.

Der EINE bahnt sich an

"ER ist gütig und seine Barmherzigkeit währt ewig!"

Da. Ganz genau da  erfüllt die Wolke…

Die Gegenwart GOTTES, das Haus.

Und diese Gegenwart macht das neu errichtete Gebäude 

erst zum Haus des HERRN.

Nicht die menschliche Planung, nicht die tolle Inszenierung:

So steht's da:

".. da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke,

wurde das Haus des HERRN… 

denn die HERRlichkeit des HERRN erfüllte es…".

Was für ein Geschenk! … denkt man vielleicht:

Aber - Moment: 

Was für eine Unterbrechung!

Das hatten wir aber ganz anders geplant , 

ganz anders gebucht… 

Moment!!  Moment… so geht das nicht!!

Die ganze sorgsam geübte Choreographie kommt durcheinander…

".. da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke,

sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten, wegen der Wolke…!"

ich frag' nur mal so: Können Sie sich das vorstellen… als Beispiel:

der ganze Altarraum wird unbetretbare Zone mitten in den Konfirmationsfeierlichkeiten…!  

Und fotographieren lässt sich diese  Störung auch nicht so recht! 

Sprachlose Stille.

DENN: Gott ist gegenwärtig. Wer Ihn kennt, Wer ihn nennt… 

schlag die Augen nieder… kommt ergebt Euch wieder…

Wo ER, der Ewige, Raum gewinnt,

sich niederlässt,

da bleibt eben erstmal kein Raum mehr für das Bodenpersonal… 

Für keinen, der herantreten will zum Altar.

Denn:  Da lagert ER…

Eine göttliche Unterbrechung also.

Eine Unterbrechung des religiösen Betriebs damals in Jerusalem…

Das gibt uns zu denken… … uns gerade heute.

Am 10.Mai 2020.

Beim ersten Versuch einer Wiederaufnahme des Präsenzgottesdienstes,

ein Fingerzeig:

Seht zu, dass Ihr mit Eurem gut gemeinten,

sorgfältig bedachten,

liebevoll gestalteten,

volkskirchlich… gemeindlich verankerten,

eben : Eurem vertrauten Religionsbetrieb, nicht nur Euch selbst feiert.

Könnte doch sein,

ER selbst.

ER unterbricht  Euch dann.  Heilsam.

Wir hören das heute.

Als kritische, als selbstkritische Anfrage  daran,

was wir eigentlich denken, glauben, spüren, ersehnen

wenn wir uns an Gott zu richten versuchen…

Was wäre,

wenn ich in meinen Predigten, meinen Gebeten,

ja - und auch beim Segnen… zum Beispiel… in allen rituellen Handlungen… nicht nur von Gottes Nähe redete,

sondern:

wenn sie dann plötzlich geschieht…

Und wenn das dann eben nicht gern erhoffter,

weil doch auch irgendwie geplanter  "Gänsehautmoment" würde?

Was wäre, wenn Gottes Gegenwart meinem Handeln und Planen

in die Quere käme…

Ich merke doch schon, - und da geht's Ihnen vielleicht nicht anders -

wie schwer es fällt, 

wenn ein gefährliches Virus die Lage unplanbar macht - 

wenn man sich fügen muss… und nicht tun kann, was man will….

Wie also würde ich -

Würden Sie - auf eine göttliche Unterbrechung reagieren?

Was wäre, 

wenn GOTT nicht eine leicht beherrschbare Vokabel in meiner Sprache bliebe, sondern mir so entgegenkäme,

dass ein geregelter Betrieb nicht möglich ist..?

dass unsere aufwendig inszenierten volkskirchlichen Festlichkeiten unterbrochen werden, und zwar durch SEINE Gegenwart?

Fragen.

Ja:  ehrlicherweise müssen wir doch genau das aushalten,

gerade jetzt:

Fragen, auf die wir so schnell keine ehrliche Antwort haben.

Fragen, die mit uns gehen, durch diese Wüstenzeit…

"Da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke,

wurde zum Haus des HERRN!"

Unterbrechungen,

das erleben wir gerade,

Unterbrechungen können verstörend sein,

schmerzhaft, quälend, anstrengend.

Aber:

Genau  dieser biblische Impuls ausgerechnet am Sonntag Nr. 9 im Corona- Lockdown,

er lehrt uns auch ganz etwas Anderes:

Eine göttliche Unterbrechung kann verheißungsvoll werden,

wenn wir sie als solche sehen lernen…

als Gegenwart, die das Haus  zum Haus des Herrn machen kann,

Solche göttliche Unterbrechung 

könnte heilsam sein für unseren Betrieb!! 

Kantate! 

Singen verboten: aber dann-

Es ist, als wäre es EINER, der trompetet und sänge: ER ist gütig,

und seine Barmherzigkeit währet ewig!"

Dann wäre es doch nicht der schlechteste Wetterbericht zu Pfingsten 

für uns hier im Tecklenburger Land,

wie für die Kirchen in dieser Welt,

wenn wir von dichter Bewölkung in den nächsten Wochen auszugehen könnten…!

AMEN