Predigt Goldkonfirmation Leeden 2021 - Pfarrerin Ulrike Wortmann-Rotthoff (26.09.2021)

Jakobs Kampf am Jabbok

23 Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog durch die Furt des Jabbok. 24 Er nahm sie und führte sie durch den Fluss, sodass hinüberkam, was er hatte. 25 Jakob aber blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. 26 Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. 27 Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. 28 Der Unbekannte fragte: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. 29 Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. 30 Und Jakob fragte ihn: Sage doch, wie heißt du? Der Unbekannte aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. 31 Und Jakob nannte die Stätte Pnuël: Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet. 32 Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.

 

Goldkonfirmationspredigt 26.9.2021 Leeden Gen 32,23-32

„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn..“ da haben wir ihn, einen zentralen Satz aus der biblischen Erzählung, die wir eben hörten. Paul Gauguin hat die spannende Szene gemalt – Sie sehen es im Programm: Hinter einem ist Jakob her, hinter dem Segen. Darum kämpft er. Um diesen Segen zu bekommen, hatte er schon seinen blinden Vater und seinen Bruder betrogen. Er wollte unbedingt die Kraft Gottes auf seiner Seite wissen. Er suchte diesen Schutz und diese Sicherheit in unsicheren Zeiten: Da tut die positive Wirkung göttlicher Kraft so gut. Segen heißt: das Leben steht auf deiner Seite.

Aber: um Segen kämpfen? Ist das denn nötig? Zu unserem Jubiläum darüber nachdenken - das klingt doch erstmal ein bisschen schräg? Wo haben Sie Segen erlebt: In dieser Kirche und in anderen. Bei besonderen Anlässen, zu besonderen Lebensstationen, in festlichem Rahmen – nicht nur zur Konfirmation – und sonntags natürlich auch – Aber das hatte doch nichts mit Kampf zu tun - oder?

Wofür kämpfen wir denn? Und: Wofür lohnt es sich zu kämpfen? Damals – vor 50 Jahren, waren es ja eher banale Sachen… wir Mädchen zum Beispiel kämpften um jeden Zentimeter Rocklänge, denn damals trugen wir Mini für die ersten Partys … oder dann um jede halbe Stunde länger, die wir bei den Eltern rausschlagen konnten, wenn Schützenfest war… oder später noch im Konkurrenzkampf mit den Gleichaltrigen, als wir den Führerschein machten, wer den ersten Käfer fuhr… Gekämpft haben wir, sicher, aber doch auf ganz anderen Schauplätzen… Denn Wir hatten einen wirklich guten Start: Ein durchlässiges Schulsystem, dass jedem und eben auch jeder, die etwas werden wollte, auch ermöglichte, dahin zu kommen. Eine gesunde Wirtschaft und weiter steigende Einkommen, und dazu – trotzdem noch in den Siebzigern eine Ökobilanz!- von der wir heute nur träumen könnten…die nächste Generation muss auf die Straße gehen freitags, weil wir zu viel verbraucht haben von den Schätzen dieser schönen Erde. Und: wir hatten Frieden in unserem Land, wenn auch nicht weltweit – Zeit unseres Lebens, gesellschaftlichen Frieden hier trotz aller deutlich geführten Debatten eine Form von Gemeinschaftssinn und Solidarität, die wir heute schmerzlich vermissen: z.B. wenn’s um die Gesundheit der Allgemeinheit geht, erinnern Sie sich: damals haben wir selbstverständlich den Ärmel hochgekrempelt in die Schlange als es um die Pockenschutzimpfung ging.

Doch. Wir hatten einen sehr guten Start. Ich glaube: wir sind eine gesegnete Generation. Wo finden wir uns wieder in dieser archaischen Erzählung, wo eine ganze Nacht lang um Segen gerungen wird?

Nun. Jakob hatte keinen guten Start. Jedenfalls, wenn wir ihn fragen würden – er hätte sich immer benachteiligt gefühlt. Schwierige Familienverhältnisse - aber wer hat die nicht? Und er selbst war auch nicht ganz einfach. Aber wer ist das schon? Jakob war ein Zwilling, aber der jüngere. In einer Welt, in der der Erstgeborene alle Vorzüge des Rechtes, das Erbe und das Ansehen hatte, war es schon Pech, so knapp der Zweite geworden zu sein. Die Geburtslegende von Jakob und Esau erzählt, wie der jüngere Zwilling dem älteren schon im Mutterleib auf den Fersen war. Bei der Geburt bereits hält er mit der Hand die Ferse seines Bruders umklammert: Schauen Sie mal auf Gauguins Gemälde: Wo sind die Hände, wo sind die Füße der Ringenden? Jakob kann man auch da er erkennen: Der nach der Ferse schnappt…!

Das bleibt symptomatisch. Jakob lässt auch später keine Gelegenheit aus, seinen Bruder aufs Kreuz zu legen. Erst stiehlt er ihm das Recht der Erstgeburt, dann das Erbe und zu guter Letzt den Segen des Vaters. Das musste ja Ärger geben! Jakob flüchtet: bloß weit weg von zuhause.. Nur: In der Fremde, da läuft es genau anders herum: Jakob wird betrogen, wird ausgetrickst und das auch noch mit einer Frauengeschichte. Peinlich, peinlich. Dabei hatte er sich so gut geführt!

Die bittere Erfahrung hat dann aber auch ihr Gutes: Sie bringt in seiner Seele nämlich etwas in Bewegung. Er beginnt zu spüren: "Da ist noch etwas offen!“ Er macht sich auf, um das zu klären, Ist also längst dem Konfirmandenalter entwachsen…wenn wir ihm jetzt begegnen. Ein gemachter Mann – könnte man sagen: Es geht ihm gut. Familie, Vermögen. Sicheres Auskommen. Jetzt könnte er doch zufrieden sein! Aber da ist eben diese innere Unruhe. Da fehlt noch was. Da ist noch eine Rechnung offen… Jakob beginnt wahrzunehmen: Hier geht es um meinen Seelenfrieden. Wie soll ich umgehen mit dem Rätsel meines Lebens.

Deshalb macht er sich auf den Weg in die alte Heimat. Eine große Karawane zieht mit ihm durch die Wüste. In der entscheidenden Nacht steht der Tross mit der ganzen Familie am Ufer des Jabbok, im Ostjordanland, Menschen und Vieh bringt er über eine Furt in Sicherheit. Dann steht er unmittelbar vor der Wiederbegegnung mit seinem Bruder, seit dem Betrug vor über 20 Jahren hat er ihn nicht mehr gesehen. Esau ist ihm mit 400 Männern entgegengekommen. Jakob ist ihm völlig ausgeliefert. Der Ausgang ist ungewiss. in der letzten Nacht, da muss er sich allein durchringen. Das nimmt ihm niemand ab. Jakob stellt sich.

Und? Wofür haben wir gekämpft? Wofür lohnt sich das? Wie bei Jakob kann es sein: Jetzt, mit einem ganzen Berufsleben fast hinter uns. im Übergang – oder längst angekommen in der Großelternphase? Doch - Da fehlt noch was. Da ist vielleicht noch die eine oder andere Rechnung offen. Da gibt es offene Wunden, die wir uns früher einmal zugefügt haben..

Wenn ich in Ihre, in Eure Gesichter schaue, fallen mir durchaus Geschichten ein….und das sind ja nur Bruchstücke… Schmerzliche Geschichten: Manches ist vielleicht verheilt, aber Narben sind geblieben. Innere Unruhe. Es war nicht immer einfach mit Eltern und Geschwistern, mit denen, die wir lieben und geliebt haben, mit den Kindern, mit den Partnerinnen und Partnern, mit Freunden und Freundinnen… Da ist auch manches angeknackst oder gar zerbrochen… Da ist mancher Verlust.

Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn..“ Stellen wir uns?

Im Dunkel der Nacht ist Jakob allein. An der Furt des Jabbok verwickelt ein Unbekannter ihn in einen Kampf. Wer ist das? Wie stark ist der? Keiner von beiden kann diesen Kampf gewinnen.

Als die Sonne aufgeht, bittet der Unbekannte Jakob, von ihm abzulassen. Aber Jakob lässt ihn nicht gehen, bevor er einen Segen von ihm empfangen hat.: „Ich lasse dich nicht..!“ Der Unbekannte gibt ihm eine neue Identität. Er sagt zu ihm: „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft ..“

Erst als der Unbekannte seinen Namen nicht nennt, versteht Jakob: In dieser Nacht hat Gott selbst seinem Ringen mit ihm diese Gestalt gegeben.. Es gibt also Situationen, da muss man mit Gott kämpfen. Mit Gott in den CLINCH gehen.

Das kennen wir: Haben wir nicht auch oft genug mit Gott im Clinch gelegen? Uns gefragt, warum er dieses und jenes überhaupt zulässt? Warum uns das passiert? Warum ich leiden muss? Und: gibt es IHN überhaupt, oder muss ich den Gedanken an GOTT einfach über Bord werfen, weil ich ja nach der Konfirmation erwachsen wurde und den „lieben Gott“ der Kindheit einfach nicht mehr brauche: Muss ich mein Leben nicht ganz allein meistern? Doch: Wir ahnen sie alle: Nächte voller innerer Kämpfe…

Im Clinch mit Gott – das ist doch überhaupt ein interessantes Wort: Clinch- der Duden beschreibt „Clinch“ mit „die Umklammerung des Gegners im Boxkampf“. Genau so wird Jakobs Kampf beschrieben! Das ist kein distanzierter Schlagabtausch – sondern Umklammerung, Nahkampf. Man wünscht sich beinahe, dass ein Ringrichter dazwischen geht und die Gegner trennt… Wir sind im Clinch mit Gott, in der Umklammerung, im Ringen, im Schütteln und Durchgeschüttelt - Werden. Und: Das Wunderbare: Gott lässt mit sich ringen! Entzieht sich nicht in höhere Sphären….

Auch uns ist oft nicht vorher klar, mit welcher Macht wir kämpfen. Könnte sein, auch uns wird erst im Nachhinein deutlich: Gott steckte dahinter. Er hat dir und mir eine Grenze gesetzt. Hat uns herausgefordert. Und ist doch nicht gewichen.

Nicht das Ringen mit Gott an sich ist ungewöhnlich. Bei Jakob ist außerordentlich, dass der Kampf unentschieden ausgeht: 1:1.

Gott lässt sich diesen Segen abringen, beschenkt mit diesem Segen den, der nicht nachlässt. im Clinch mit Gott bleibt.

Und dann passiert etwas Merkwürdiges. Der Gotteskämpfer, wie er jetzt heißt, will den Gegner festnageln und wissen, wie der heißt. Aber der gibt seinen Namen nicht preis. Stattdessen fragt er: Warum willst du ihn wissen?

Interessante Frage, liebe Gemeinde. Warum will Jakob eigentlich den Namen wissen? Er will ihn wissen, um das Rätselhafte zu benennen.. Aber das geht nicht. Sonst wäre es kein Rätsel: Das Geheimnis der Welt. Das muss man schlucken. Es gibt ein Geheimnis, das lässt sich nicht kontrollieren, mit dem müssen wir ringen. Erst später wird klar: Darin habe ich Gott begriffen. Buchstäblich – zu fassen bekommen. In den Rätseln unseres Lebens begegnen wir doch niemand anderem als Gott selbst. Es ist, als spiegle sich sein Antlitz auf diesem nächtlichen Fluss. Dann wird es hell.

In den neuen Morgen geht Jakob gezeichnet: Fortan muss er hinken. Ihm bleibt eine Spur dieses Kampfes für immer. Spürbar: eine verrenkte Hüfte… Damit kann man nicht abheben… eine hilfreiche Spur. Solche Kämpfe hinterlassen Spuren. Jakob jedenfalls hilft das,nicht abheben, Nicht überheblich werden. Diese Wunde macht ihn sensibel: Als er jenseits des Flusses seinem Bruder gegenübersteht, gibt ihm das: Bodenhaftung und inneren Stand: Er ist in der Lage, seinen Bruder um Vergebung zu bitten, Frieden zu schließen, neu anzufangen. Dieser Kampf hat ihn wirklich weitergebracht: Er ist ein gesegneter Mann. Er spürt das. Pnuel nennt er den Ort: zu deutsch: hier habe ich Gottes Angesicht gesehen. Und dann dieser wunderbare Schluss – Satz: „Und als Jakob an Pnuel vorüberging, ging ihm die Sonne auf.“

Und wir? An unserem Goldkonfirmationstag?

Behalten wir die Frage: Wofür lohnt es sich zu kämpfen? Jetzt.

Und: Behalten wir den Zuspruch: Wir waren eine gesegnete Generation, damals im Start. Und heute, Heute treten wir wieder nach vorne. auf den Platz um den Altar. Zum Segen: Damit uns die Sonne aufgeht. So soll es sein. AM